Kirchenasyl
Asylarbeit

 

Wieder grausame Abschiebung in Tübingen !

»Mehr Druck bei der CDU machen!«

Die Abschiebe-Praxis in Baden-Württemberg ist inhuman und widerspricht unserem Grundgesetz. Sie widerspricht aber insbesondere unserer christlichen Moral:

»Die wohlhabenderen Nationen sind verpflichtet, so weit es ihnen irgend möglich ist, Ausländer aufzunehmen, die auf der Suche nach Sicherheit und Lebensmöglichkeiten sind, die sie in ihrem Herkunftsland nicht finden können. Die öffentlichen Autoritäten sollen für die Achtung des Naturrechts sorgen, das den Gast unter den Schutz derer stellt, die ihn aufnehmen.«
(Katechismus der Katholischen Kirche, Ziffer 2241, München 1993, 571f.)


 

Schwäbisches Tagblatt, 16. Oktober 2003, S. 21

Übrigens ...

Zerstörte Hoffnungen

Für die Wardanjans begann der Tag wie gewohnt. Die drei Kinder gingen zur Schule, die Eltern zur Arbeit. Auch im TübingerAmtsgericht liefen die Geschäfte vergangenen Dienstag normal. Unter anderem wurde dort der "Beschluss in der Abschiebehaftsache Rafael Wardanjan" gefasst. Damit war der Weg für die Festnahme des 40-Jährigen an seinem Arbeitsplatz frei. Die Beamten des Polizeireviers Tübingen brachten den Familienvater in die Abschiebehaft nach Rottenburg. Gestern Morgen wurde er nach Reutlingen geschafft. Von dort weiter nach Frankfurt ins Flugzeug nach Eriwan (siehe auch Seite 24).

Vor sieben Jahren kamen Rafael Wardanjan und seine Frau Gohar mit ihren Töchtern Naira und Meline aus Armenien nach Deutschland. Ihr Sohn Artavasd wurde hier geboren. "Wäre das Kind in Frankreich oder den USA zur Welt gekommen, hätte es die entsprechende Staatsbürgerschaft und die Familie könnte bleiben", sagt Rafael Wardanjans Anwalt Viktor Schulz.

Aber die deutschen Gesetze sind nicht so. Nicht, wenn es sich um das Kind von nur geduldeten Eltern handelt. Da kann eine Familie noch so gut integriert sein: Die Eltern mit festem Arbeitsplatz, die Kinder ohne Erinnerung an das Herkunftsland, vielmehr in Tübingen verwurzelt. Hier, wo die Familie in der Liststraße wohnt, wo sie Freunde hat und Nachbarn, die sich für sie einsetzen.

Es ist ein typisches Flüchtlingsschicksal, das hier seinen Lauf nimmt: Asylantrag abgelehnt, danach Duldungen, die immer wieder verlängert werden und Anwälte, die alle Rechtsmittel ausschöpfen.

Zuletzt hatte das Verwaltungsgericht Sigmaringen am 30. September gegen die Wardanjans entschieden. Es war um die zehnjährige Meline gegangen. Sie ist chronisch nierenkrank. Für den Anwalt der Familie ein Grund, weder das Mädchen noch seine Angehörigen nach Armenien abzuschieben. DerAntrag wurde abgelehnt - trotz eines Gutachtens der Schweizerischen Flüchtlingshilfe, in dem festgestellt wird, dass es für Meline nicht möglich sei, in der Heimat ihrer Eltern "eine kindgerechte und spezialisierte Behandlung zu erhalten".

Das Gericht bezog sich auf die Deutsche Botschaft in Eriwan, die offenbar anderer Meinung ist, was die Gesundheitsversorgung in Armenien betrifft. Für den Tübinger Oberarzt Oliver Amon, der Meline behandelt, geht indes "kein Weg daran vorbei, dass dieses Mädchen aus medizinischen Gründen, um Gefahr für Leib und Leben abzuwenden, weiterhin in Deutschland von einem Kindernierenspezialisten behandelt werden muss".

Für Meline, Naira, Artavasd und Gorhan Wardanjan sind die Tickets nach Eriwan noch nicht gebucht. Die Kinder haben keine Ausweise. Aber laut ihrem Anwalt "kann das sehr schnell gehen", bis die deutschen Behörden mit Hilfe der Armenischen Botschaft auch dieses Abschiebehindernis beseitigt haben. Und übrig bleiben nur zerstörte Hoffnungen.

Uschi Hahn


Schwäbisches Tagblatt, 16. Oktober 2003, S. 21

Angst vor der Abschiebung

Nur kurz konnte Gorhan Wardanjan (Bildmitte) ihren Mann Rafael gestern noch einmal sehen. Dann schaffte man den Vater von drei Kindern nach Frankfurt und setzte ihn ins Flugzeug nach Eriwan. Auch die 31?jährige Mutter, die zehnjährige Meline (links), der sechsjährige Artavasd (rechts) und die zwölfjährige Naira, müssen nun täglich mit der Abschiebung nach Armenien rechnen. Dabei ist Meline chronisch krank und kann nach Meinung ihrer Ärzte in Armenien nicht versorgt werden. "Es geht hier wirklich um das Leben der Tochter", sagt der Anwalt der Familie, Viktor Schulz. Auch Nachbarn der in der Tübinger Liststraße wohnenden Wardanjans und die Martinsgemeinde setzen sich für ein Bleiberecht ein. Bereits im Dezember vergangenen Jahres gab es eine Unterschriftensammlung mit der Bitte an die Reutlinger Bezirksstelle für Asyl, "die gesetzlichen Spielräume zu nutzen". Offenbar vergeblich.

uha / Bild: Mozer


Schwäbisches Tagblatt, 16. Oktober 2003, S. 21

Nur zaghafte Anzeichen für ein Umdenken

Interkulturelle Woche startete mit Podium zur Integration /
Wunsch nach Ausländerbeauftragtem

TÜBINGEN (hoy). "Ich habe gehofft, dass meine Rechte hier beschützt werden." Der heute 37-jährige Libanese Ali Jaber hatte sich sein Leben in der Bundesrepublik Deutschland anders vorgestellt, als er vor elf Jahren aus dem Südlibanon flüchtete. Seither hangelt er sich ohne gesicherten Aufenthaltsstatus von einer Duldung zur nächsten. Zum Auftakt der Interkulturellen Woche sprach er am Dienstagabend erstmals öffentlich bei der Podiumsdiskussion im Schlatterhaus darüber. Durch die Abschiebung des Armeniers und Familienvaters Rafael Wardanjan erhielt die Veranstaltung außerdem eine unvorhersehbare Aktualität (siehe das ÜBRIGENS und Bildtext unten).

Das Podium zum Thema "Integrieren statt ignorieren" - moderiert von der Journalistin Beate Rau - war kompetent besetzt: Die städtische Sozialamtsleiterin Uta Schwarz-Österreicher hatte Zahlen aus ihrem Amt mitgebracht. Ebenso Fritz Sperth, Schulleiter der Hauptschule Innenstadt: Rund 40 Prozent seiner 250 Schüler haben einen ausländischen Pass, die Hälfte kommt aus einer Familie "mit Migrationshintergrund", und zehn Prozent haben nur einen Duldungsstatus, können jederzeit abgeschoben werden. Auch das Sozialamt betreut viele "Fälle" wie Ali Jaber über zehn Jahre lang -finanziell und mit Beratungen ,.sind das 80 Prozent, so Uta Schwarz-Osterreicher.

Weitere Podiumsteilnehmer waren: Ismayil Arslan (Betriebsrat bei Flender und Vorsitzender des Türkischen Vereins), Ahmad Amini (Ausländerbeauftragter in Sindelfingen), Erika Kurz (seit elf Jahren im Asyl-Arbeitskreis der Martinskirche) und Margarete Lanig-Herold (Geschäftsführerin bei Infö).Die Frage, wann eine Integration von Migranten und Flüchtlingen geglückt ist, wurde im Verlauf der gut zweistündigen Diskussion vor rund 80 Zuhörern zunehmend auf die Schlüsselfrage zugespitzt: Ist die Integration überhaupt politisch gewollt?

Vieles - da waren sich alle sechs auf dem Podium im Grunde einig - spricht dafür, dass sie eigentlich unerwünscht ist. Bei Flüchtlingen wie Ali Jaber auf jeden Fall, denn sonst hätte er "längst einen Aufenthaltsstatus" bekommen. "Wir brauchen ganz schnell ein Zuwanderungsgesetz", sagte Amini. Es sei "unerträglich", dass viele Menschen nach über zehn Jahren in Deutschland "nicht hier bleiben können". Auch Erika Kurz, die die Familie Wardanjan seit sechs Jahren betreut, kritisiert: Durch die aktuelle Abschiebung seien "alle Bemühungen um Integration ins Leere gelaufen". Und Fritz Sperth berichtete von Schülern, die mit einem abgelehnten Asylantrag zu ihm kommen. Diesen "völlig unwürdigen Zustand" und die Tatsache, als Ausländer, "auf das Wohlwollen einzelner Leute in den Behörden angewiesen zu sein", würde Sperth gerne ändern.

Er würde seinen ausländischen Schülerinnen und Schülern auch gerne mehr berufliche Perspektiven bieten können. Außerdem gäbe "es keine einzige zusätzliche Stunde für Sprachförderung". Schon "lange ungeregelt" ist die Situation für Sprachanbieter, berichtete Margarete Lanig-Herold. Es sei oft erst kurzfristig klar, aus welchem "Topf" für welche Migranten Finanzmittel zur Verfügung stehen. Für wenig sinnvoll hält es dir Infö-Geschäftsführerin außerdem, "ganze Familienclans vom Kind bis zum Opa" in einem Kurs zu unterrichten. Besser wäre vielmehr ein gemischtes Konzept, wo Aussiedler, Asylbewerber und Ausländer gemeinsam Deutsch lernen können.

Bei aller Kritik - auch die Sozialamtsleiterin sieht "Fördernachholbedarf" an Schulen und Kindergärten sieht Uta Schwarz-Österreicher aber auf politischer Ebene "doch Anzeichen der Einsicht in die Notwendigkeit, dass mehr getan werden muss". Sie wertet die 17 Integrationsprojekte des Landes als Indiz für ein "Umdenken". Dass immer noch kein Zuwanderungsgesetz verabschiedet ist, brachte einige Zuhörer im Saal sichtlich auf. Darunter die SPD-Landtagsabgeordnete Rita Haller-Haid. Sie appellierte an alle, "mehr Druck bei der CDU" zu machen. Sprachprogramme müssten außerdem "dauerhaft abgesichert und im normalen Landeshaushalt verankert werden". Auch bei dem Wunsch nach einem Ausländerbeauftragten in Tübingen waren sich alle einig. Das Wort Integration, sagte Ismayil Arslan, "kann ich nicht mehr hören". Es gehe um einen Prozess, an dem alle beteiligt sind. Ali Jaber hat hier Arbeit und: "Ich verstehe sogar Schwäbisch."

 

 

 

 

 

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