|
Schwäbisches
Tagblatt, 24. Dezember 2005, S. 27
Ihr beengtes Leben in der Zwei-Zimmer-Wohnung
in der Sindelfinger Straße wollen Hai Ha (von links), 12 Jahre,
Hai Nam, 4, die Eltern Van Vu Tran und Thithanh Nguyen, und Hai Linh,
13, nicht aufgeben für die Zwangsausreise nach Vietnam, das sie nur
aus Erzählungen knnen.
Bild: Metz
Das Polizeiauto
auf dem Wunschzettel
Familie Tran
bangt nach 13 Jahren in Tübingen um ihre Zukunft seit der Ablehnung
als Härtefall
TÜBINGEN. Wenn der
vierjährige Hai Nam seine beiden älteren Schwestern auf den
Bildern im Fotoalbum sieht, kann er sich kaum Halten vor Lachen. Sein
fröhliches Herumhüpfen, das Blättern in alten Fotos lässt
die 13-jährige Hai Linh und ihre Schwester Hai Ha, 12, für kurze
Zeit vergessen, worüber sie ungern sprechen: Dass ihre Zukunft in
Tübingen ungewiss ist. Seitdem die Härtefallkommission den Antrag
der vietnamesischen Familie Tran abgelehnt hat, droht nach fast 14 Jahren
in Deutschland die Abschiebung.
Im Fotoalbum der Familie zeigt
der kleine Bruder Hai Linh als Baby. Seine große Schwester wurde
am 14. November 1992 im pfälzischen Weiden geboren. Zehn Monate,
nachdem die Eltern nach Deutschland kamen, ein Flüchtlingslager bei
Nürnberg bot dein Ehepaar mit Säugling die erste beengte Bleibe.
Der heute 49-jährige Van Vu Tran und seine Frau Thithanh Nguyen haben
Vietnam im Januar 1989 verlassen. Als Fremdarbeiter in Tschechien "haben
wir Weihnachten mit vielen Freunden zusammen gefeiert", erinnert
sich Tran beim TAGBLATT-Besuch kurz vor dem heutigen Heiligabend.
In Deutschland war den Trans
"anfangs alles fremd", wie sie erzählen. Doch sie lebten
sich ein, feierten den Heiligabend mit Freunden zusammen. Traditionell
fahren die Trans zum gemeinsamen Feiern nach Reutlingen in eine Kirchengemeinde.
Dort gibt es auch einen christlichen Gottesdienst und heimische Spezialitäten:
Gebackene Ente, Reis und Frühlingsrolle, dazu Weißwein.
Als Hai Ha am 9. Dezember 1993
geboren wird, ist die junge Familie Tran bereits nach Tübingen umgezogen.
In der Sammelunterkunft Herrenberger Straße kam früher "ein
echter Weihnachtsmann", erzählt die Zwölfjährige,
brachte kleine Geschenke für die Kinder, zur Weihnachtsfeier gingen
Trans mit den kleinen Mädchen ins Tübinger Asylzentrum. Später,
als Trans sich in der Hirschauer Straße in einem Zimmer einrichten
mussten, kamen die Mädchen in die Grundschule Innenstadt. Hai Nam
zeigt das Einschulungs-Foto vor dem Lindenbrunnen-Pavillon: Seine Schwester
Hai Ha mit einer großen, roten Micky Maus-Schultüte.
Der Umzug in die Sindelfinger
Straße, in der die Trans bis heute wohnen, war für die Familie
eine Verbesserung: Zwei Zimmer, eine kleine Küche mit Bad und vor
der Wohnungstür Platz für die Schuhe, die Schwestern gehen zur
Aischbachschule, dann in die Albert-Schweitzer-Realschule. Sie teilen
sich ein Zimmer. Ein gebrauchter Computer steht vor dem Fenster, neben
den zwei Betten summt ein Kühlschrank, an den schrägen Wänden
hängen ein Foto von Tübingen und einige Zeichnungen von Hai
Linh.
"Tübingen ist unsere
Heimat geworden", sagt der Vater. Seine Kinder kennen das Heimatland
ihrer Eltern nur aus Erzählungen, im Fotoalbum zeigt der kleine Hai
Nam ein Bild seiner Oma, die Großeltern des Vaters sind schon gestorben.
18 Jahre lang waren Trans nicht mehr in ihrer Heimat, direkte Verwandte
haben sie dort nur wenig. Hai Nam nennt seine Mutter "Mami",
und wenn die Schwestern mit den Eltern ab und zu vietnamesisch sprechen,
mischt sich das oft mit deutschen Wörtern.
Das Wohnzimmer der Familie
ist auch gleichzeitig das Schlafzimmer von Hai Nam und den Eltern. Zwei
ausziehbare Sofas und ein Bett stehen darin, ein großer weißer
Schrank, Fernseher und ein Tisch. Für einen Tannenbaum fehlt der
Platz. Das heutige Weihnachtsfest empfindet der Familienvater als "besonders
traurig". Zuerst die versuchte Abschiebung am 23. Juni, die der Tübinger
Rechtsanwalt Reinhard Treimer gerade noch mit einer Eilentscheidung des
Verwaltungsgerichts Sigmaringen stoppen konnte - kurz, bevor die Trans
in Frankfurt ins Flugzeug nach Vietnam gesetzt wurden. Das Abholen der
Polizei in den frühen Morgenstunden, die Fahrt mit dem Polizeiauto
nach Frankfurt haben alle noch vor Augen. Dann die Petition an den Stuttgarter
Landtag im Juli, schließlich die Härtefallkommission, die Anfang
Dezember in der Abschiebung der Familie keine besondere Härte erkennen
kann.
Am 4. Januar läuft die
Duldung ab. Und dann? "Wir haben Angst", sagt der Vater, der
seit 1999 in einem Tübinger Restaurant arbeitet. Erst als Küchen-Aushilfe
und jetzt mit einer festen Anstellung. Hai Linhs Freundinnen aus ihrer
Klasse möchten einen Brief an Innenminister Heribert Rech schreiben.
Und das Sigmaringer Verwaltungsgericht geht in seinem Schreiben vom 14.
Dezember davon aus, dass vorerst "von Vollzugsmaßnahmen abgesehen
wird", solange das Regierungspräsidium noch nicht über
Treimers Antrag auf Aufenthaltserlaubnis "aus humanitären Gründen"
entschieden hat. Der Rechtsanwalt der Familie verweist in seiner Begründung
auf andere Gerichtsurteile. Vietnam, so Treimer, sei nicht der Heimatstaat
der drei Kinder. Warum also solle für sie eine Ausreise in das fremde
Land "zumutbar" sein?
Unterstützer der Familie
werden auch heute Trans besuchen, sie aufmuntern, vielleicht gemeinsam
mit ihnen einen Gottesdienst besuchen. Sie wollen ihnen dabei helfen,
"mit dem Gefühl der Schutzlosigkeit fertig zu werden",
sagt Helmut Schmeck. Er hoffe, "dass die staatlichen Behörden
nicht die Rolle des Herodes spielen", sagt er. Und der kleine Hai
Nam hofft, dass auch er heute ein Geschenk bekommt. Sein sehnlichster
Wunsch: ein Polizeiauto.
Christiane Hoyer
|