Am 22. März 2004 schrieb uns G. N.:

Welche Bedeutung hat das bild vom Lamm, daß eine Fahne trägt?

Unsere Antwort:

Vermutlich meinen Sie das in der christlichen Tradition dargestellte Osterlamm. Osterlämmer mit Osterfahnen gibt es sowohl in Darstellungen der Kunst, als auch als traditionelle Osterspeise aus Rührteig- oder Biskuitgebäck.

Das friedliche und wehrlose Lamm war schon in jüdischer Vorzeit ein Opfertier. Seine Tradition als Pessach-Lamm bekam es durch Exodus 12,2 f, wo angeordnet wird, dass jede jüdische Familie zum Andenken an den Auszug aus Ägypten bei der Feier des Pessach (oder Passah, Pascha) ein Lamm opfern, braten und gemeinsam verspeisen soll. - Das christliche Osterfest ist unmittelbar aus dieser Tradition entstanden: Jesus hatte bei seiner letzten Pessachfeier, dem "letzten Abendmahl", zusammen mit seinen Jüngern das Pessach-Lamm gegessen. Da seine Kreuzigung am Tage darauf im christlichen Glauben als Opfertod verstanden wurde, bezog man den Text vom "Gottesknecht" in Jesaja 53 auf Jesus:

3 Er wurde verachtet und von den Menschen gemieden,/ ein Mann voller Schmerzen, / mit Krankheit vertraut.
Wie einer, vor dem man das Gesicht verhüllt, / war er verachtet; wir schätzten ihn nicht.
4 aber er hat unsere Krankheit getragen / und unsere Schmerzen auf sich geladen.
Wir meinten er sei von Gott geschlagen, / von ihm getroffen und gebeugt.
5 Doch er wurde durchbohrt wegen unserer Verbrechen, / wegen unserer Sünden zermalmt.
Zu unserem Heil lag die Strafe auf ihm, / durch seine Wunden sind wir geheilt.
6 Wir hatten uns alle verirrt wie Schafe, / jeder ging für sich seinen Weg.
Doch der Herr lud auf ihn / die Schuld von uns allen.
7 Er wurde misshandelt und niedergedrückt, / aber er tat seinen Mund nicht auf.
Wie ein Lamm, das man zum Schlachten führt, / und wie ein Schaf angesichts seiner Scherer, / so tat auch er seinen Mund nicht auf.
8 Durch Haft und Gericht wurde er dahingerafft, / doch wen kümmerte sein Geschick?
Er wurde vom Land der Lebenden abgeschnitten / und wegen der Verbrechen seines Volkes zu Tode getroffen.
...
11 Nachdem er so vieles ertrug, erblickt er das Licht. / Er sättigt sich an Erkenntnis.
Mein Knecht, der gerechte, macht die vielen gerecht; / er lädt ihre Schuld auf sich.
12 Deshalb gebe ich ihm seinen Anteil unter den Großen, / und mit den Mächtigen teilt er die Beute,
weil er sein Leben dem Tod preisgab / und sich unter die Verbrecher rechnen ließ.
Denn er trug die Sünden von vielen / und trat für die Schuldigen ein.

Paulus bezeichnet in diesem Glauben Jesus als Pessach-Lamm: "... denn als unser Paschalamm ist Christus geopfert worden." (1 Kor 5, 7). Jesus wird so im Glauben der Christen zum "Lamm Gottes".

Aber schon die frühe Christenheit verstand dieses Lamm nicht als reines Opferlamm, das in einem grausamen blutigen Sühneopfer hingeschlachtet wird. So etwas hätte Gott nicht nötig und der Sinn dieses Bildes wäre auch verfehlt. Denn das Pessach-Lamm war bei den Juden ja das freudige Gedächtnis an ihre Befreiung aus der Knechtschaft in Ägypten. Und auch im o.a. Jesaja-Text liegt der Sinn des Gottesknechtes nicht in seiner grausamen Vernichtung, sondern in seiner strahlenden Erhöhung nach seinem Tod. Jesu Tod hat seine Bedeutung und seinen Sinn nur in seiner Auferweckung nach dem Tod. Die Auferstehung wird nun zum christlichen Sinn des Pessachfestes; das christliche Osterfest feiert das siegreiche Leben. Jesus ist Sieger über den Tod. Aus dem passiven Lamm ist ein aktiver Sieger mit einer Siegesfahne geworden. Und so finden wir in den Darstellungen der Kunst das Lamm und Jesus mit der Osterfahne, auf der ein Kreuz dargestellt ist.

Wenn Sie mehr über die Osterfahne lesen wollen, finden Sie im Internet einen guten Text von Dr. Manfred Becker-Huberti: http://www.brauchtum.de/fruehjahr/ostern_5.html

Das Osterlamm mit der Osterfahne als Hauswappen Martin Luthers in seiner Ausgabe des Alten Testaments 1524 © Grafik: Manfred Becker-Huberti

Vielleicht wäre es auch an Ostern 2004 besser Osterlämmer zu backen und sie mit unseren Freunden zu verspeisen, als in Mel Gibsons Film "Die Passion Christi" zu gehen. Der lustvoll schaudernde Blick nach hinten auf das blutige Geschehen zeigt nicht alles und verzerrt vieles. Das Osterlamm mit der Osterfahne ist eben keine Schlachtplatte Golgatha.