... aus der Presse
und für Sie zur Diskussion gestellt:

Schwäbisches Tagblatt/Südwestpresse, 17. März 2004

Mel Gibsons Jesus-Film
"Die Passion Christi

Schlachtplatte Golgatha

Viel Blut, keine Spiritualität - Zwei Stunden Variationen über Leiden und Schmerz

Mel Gibsons Jesus-Film "Die Passion Christi" wird von vielen Kolumnisten, Kritikern und Kirchenvertretern auffallend scharf angegangen. Tatsächlich hat er die meisten der negativen Urteile verdient. Es ist ein blutrünstiger, plump manipulativer, letztlich sinnloser Bibelfilm.

MAGDI ABOUL-KHEIR

Ist Jesus tot? Der römische Soldat soll das mit seiner Speerspitze überprüfen. Angewidert, erschrocken zieht sich der Uniformierte zurück - stößt dann aber doch zu. Angewidert, ermüdet drückt sich der Zuschauer in seinen Kinosessel - sieht dann aber doch hin. Eine Blutfontäne sprüht aus Jesus' Leib, schon wieder. Aber es ist wenigstens die letzte in "Die Passion Christi". Gut zwei Stunden Leinwandmartyrium sind vorbei. Es ist vollbracht: Jesus ist tot, Regisseur Mel Gibson entlässt die Zuschauer.

In den USA ist "Die Passion Christi" an Aschermittwoch unter viel Getöse in 4000 Kinos gekommen; wenn er hierzulande morgen in 400 Kinos - Jesus stirbt in jedem Multiplex - anläuft, ist der Film längst ein riesiger Kassenerfolg. Rund 25 Millionen Dollar (seine übliche eigene Gage als Action-Star) soll Gibson in das Werk gesteckt haben - bald wird es 300 Millionen eingespielt haben. Und das alles mit einer 2000 Jahre alten Geschichte, die fast jeder kennt?

Die Handlung ist rasch erzählt. Abgesehen von einigen mehr oder minder künstlerischen Freiheiten, ist sie aus den vier Evangelien komprimiert: Verrat in Gethsemane, Festnahme, Tribunal, Geißelung (lang), Todesurteil, Via Dolorosa (sehr lang), Kreuzigung (sehr, sehr lang), Tod, Auferstehung, Abspann.

Zerfetzte Haut, spritzendes Blut, zerberstende Knochen - der Film ist eine Gewaltorgie. Die Schlachtplatte Golgatha schlägt auf den Magen. Doch was zunächst erschreckt, entsetzt, vielleicht ergreift, ermüdet schnell. Die Steigerung der Gewalt ist auch nur Gewalt, und die bestialische Brutalität und das Waiden am wunden Fleisch töten zunehmend das Einfühlungsvermögen des Zusehers ab.

Welchem höheren Ziel dienen die endlosen Variationen über Leid und Schmerz? Wahrscheinlich will uns Gibson via Identifikation, Erschütterung und Mitleid läutern, doch das vermag sein Ansatz nicht zu leisten. Märtyrertum zieht sich als prägendes Thema durch Gibsons Filmkarriere, von "Mad Max" bis "Braveheart" - nur lebt er dieses Mal die blutrünstige Besessenheit nicht im Action-Kino, sondern als Reality-Show unterm Kreuz aus.

Gibson zeigt seinen Jesus als - ja, als was denn? Die Hauptfigur bleibt konturenlos, ist eher eine Projektionsfläche denn ein ausgeloteter Charakter. Die Versuche, mittels Rückblenden das Wesen Jesu zu differenzieren, den Menschen im Gottessohn zu zeigen, letztlich den Film spirituell anzureichern, scheitern. Dass die Figuren aramäisch und römisch sprechen (der Film ist untertitelt), ist zwar eine gute Idee, doch bleibt die Authentizität des Dargestellten nur eine anmaßende Behauptung der Filmemacher.

Technisch hat sich Gibson durchaus Mühe gegeben. Die Bildkompositionen von Kameramann Caleb Deschanel sind Caravaggio-Werken nachempfunden, dazu Nebel, Zeitlupe, extreme Großaufnahmen, ganz zu schweigen von der Fleischeslust der Maskenbildner. Auch die Tonspur ist ausgefeilt: Zischen, Schläge, Fauchen, Donnergrollen, dazu die Musik John Debneys zwischen sakralem Bombast und weinerlicher Weltmusik.

Blutrot gefärbt

Doch das alles steht im Dienst einer wahren Totschläger-Dramaturgie. Gute und Böse, sie sind schon an ihren Gesichtern zu erkennen; man könnte fast von Schwarz-Weiß-Malerei sprechen, färbte sich die Leinwand nicht ständig blutrot. Kaiphas, zur Karikatur verzerrt, besteht nur aus einem Charakterzug: der Obsession, Jesus töten zu lassen. Pontius Pilatus ist dagegen ein abwägender, über "veritas" grübelnder Zweifler.
Wenn hässliche Juden keifen und spucken, fiese römische Soldaten prügeln, peitschen, Nägel durchs Fleisch treiben; wenn ein Rabe dem mitgekreuzigten Verbrecher, der Jesus verspottet, ein Auge aushackt; wenn dem androgynen, mehrfach durchs Bild schleichenden Teufel eine Made ins Nasenloch krabbelt - dann ist das alles plump manipulativ, nahezu naiv berechnend.

Am Schluss, frisch wiederauferstanden, schreitet Jesus aus dem Bild - zu martialischen Rhythmen, als ob er in den Krieg zieht. Vielleicht hat da das gewalttätige Action-Kino seinen Mel Gibson wieder. Vielleicht hatte es ihn aber auch gar nicht verloren.


Lesen Sie auch noch den Beitrag der jüdischen Theologin Ruth Lapide "Sieben Fragen an Mel Gibson" im Publik-Forum Nr. 7 vom 9.4.2004 (http://www.publik-forum.de/) und im selben Heft den Artikel von Friedrich Schorlemmer: Frohe Botschaft, ersäuft in Blut und Leid.


 

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