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Der
nachstehende Text scheint zunächst von seiner Intention und vom
Anlass her nichts mit Meditation zu tun zu haben. Dennoch geht es
bei allen feministischen Fragen immer um das Ganze der Menschheit
und um das Ganzsein des Menschen: "Solche Erfahrungen führen
zu einer Gotteserkenntnis, aus der heraus Frauen, aber auch Männer
heute sagen können: Ich bin gut, ganz und schön. Gut, weil
in solchem matriarchalen Denken nicht Leistung, sondern Vertrauen
die Grundlage ist. Ganz, weil wir endlich den augustinischen Dualismus,
der immer noch unsere Triebe als bösartig fürchtet, aufgeben
sollten. Schön, weil jeder Mensch einzigartig-eigenartig vor
Gott ist."
Ich
bin gut, weil Gott keinen Mist baut
Gibt es eine Feministische
Rechtfertigungslehre?
Von Elisabeth Moltmann-Wendel
Am Tag der Reformation, Ende Oktober, soll in Augsburg eine "Gemeinsame
offizielle Feststellung des Lutherischen Weltbundes und der Katholischen
Kirche" unterschrieben werden, in der die Rechtfertigungslehre
zur gemeinsamen Basis christlichen Glaubens erklärt wird.
Was bedeutet dieser Schritt für normale Christen und Christinnen?
Die Sprache, die in der Feststel-lung gesprochen wird, ist theologisch
abstrakt und reicht nicht in die Wirklichkeit heutiger Menschen hinein.
Zwar ist versprochen worden, dass "das Zeugnis der Rechtfertigungslehre
in einer für den Menschen relevanten Sprache" später
ausgelegt würde. Ich frage mich, ob es nicht hilfreicher gewesen
wäre, von vornherein Rechtfertigung zugleich auch in konkreter
Sprache und Form für Menschen unserer Zeit auszulegen, das heißt,
die Botschaft von der bedingungslosen Liebe Gottes in unseren Alltag
hineinzubringen. Wäre es nicht denkbar gewesen, diese Botschaft
mit den verschiedensten Gruppen, Alten, jungen, Frauen, Männern,
Arbeitslosen und Managern zu diskutieren und zu gestalten?
Nun sind Frauen seit zwanzig Jahren mit der Feministischen Theologie
in einem Prozess dieser Art engagiert, und für mich heißt
die Frage heute: Gibt es eine Feministische Rechtfertigungslehre?
Wie sähe eine solche Lehre aus der Sicht von Frauen für
das Leben von Frauen und auch von Männern aus?
Dreierlei mutet Frauen, die inzwischen eigene theologische Erfahrungen
gemacht haben, in den Aussagen über Rechtfertigung fremd an:
Einmal die zentrale Rede vom strafenden und richtenden Gott, wo doch
Menschen - nach einer Untersuchung von Klaus-Peter Jörns - eher
Gott als Bundesgenossen und Beistand in allen Lebensfragen suchen.
Frauen haben eine Fülle von neuen Gottesbildern wieder aufgedeckt:
Gott als Mutter, Geliebte, Freundin, Bäckerin, Weisheit. Gott
in kosmischer Weite, Gott in mystischer Gemeinschaft, als Macht in
Beziehung. Lebensbilder für Alltag und Sonntag.
Die Afro-Amerikanerin Alice Walker lässt ihre Heldin Shug sagen:
"Wenn Gott mich liebhat, brauch ich das alles - in die Kirche
gehen, im Chor singen, dem Prediger Essen bringen - nicht zu tun.
Außer ich wills. Es gibt eine Menge anderer Sachen, die ich
tun kann, wenn ich glaub, Gott hat sie gern. Ich kann mich einfach
zurücklehnen und Sachen bewundern. Glücklich sein. Es schön
haben."
Solch matriarchales Element, das dem Kind das Gefühl gibt: Es
ist gut zu leben, hat Erich Fromm auch in Luthers ansonsten patriarchal
geprägter Theologie entdeckt. Und Frauen beginnen neu mit der
Unmittelbarkeit und nicht mit der Distanz zu Gott. Dem Gott der Rechtfertigungsdenker
steht nun ein Sünder gegenüber, der Gott nie genügen
kann, der "sein Leben verwirkt hat". Frauen lehnen diese
globalen, pauschalen Sündenvorstellungen ab, so auch das Konstrukt
der Erbsünde, haben aber sehr konkrete Vorstellungen, was Sünde
ist, oft sehr unterschiedlich für Frauen und Männer.
Und schließlich gehen Frauen heute nicht von einem überzeitlichen,
allgemeingültigen Menschenbild, sondern von konkreten Menschen
aus, die geprägt sind durch Klasse, Rasse und Geschlecht und
die ganz unterschiedliche Erfahrungen machen. Diese Erfahrungen prägen
ihr Gottesbild, ihre Theologie und ihre Sehnsucht nach heilenden Erfahrungen.
Ohne Berücksichtigung der sozialen Zusammenhänge muss jedes
Reden von Menschen und Gott farblos bleiben.
Solche Erfahrungen führen zu einer Gotteserkenntnis, aus der
heraus Frauen, aber auch Männer heute sagen können: Ich
bin gut, ganz und schön. Gut, weil in solchem matriarchalen Denken
nicht Leistung, sondern Vertrauen die Grundlage ist. Ganz, weil wir
endlich den augustinischen Dualismus, der immer noch unsere Triebe
als bösartig fürchtet, aufgeben sollten. Schön, weil
jeder Mensch einzigartig-eigenartig vor Gott ist.
Wenn den diffusen weiblichen Vorstellungen von Gutsein, also: Perfekt-,
Vielseitig-, Mütterlich-, Durchsetzungsfähig-, Liebevollsein,
ein Wissen vorausläuft, gut und richtig zu sein, was immer sie
auch sind, dann kann ein Selbstvertrauen zur eigenen Persönlichkeit
wachsen, das Frauen heute so dringend brauchen. Die kirchliche Rede
vom Sündersein hat längst die Botschaft, dass Menschen gerecht
und Sünder zugleich sind, überschattet. In der Ökumene
des Sünderseins sind die heilenden Zusagen, die uns gut machen
und gut handeln lassen, von den Kanzeln in die Therapien abgewandert.
Keinen Platz im kirchlichen Denken hatte bisher allerdings die Rede
vom Ganzsein des Menschen, denn: Die Traditionen in beiden Konfessionen
tendieren noch immer dahin, dass Menschen vom Mutterleib an voll böser
Triebe und Neigungen sind. Ohne in anthropologische Illusionen zu
verfallen, wäre es heute aber an der Zeit, das Misstrauen gegen
weibliche und männliche Körper und die Sexualität zu
überwinden und mit dem schwarzen Jungen aus einem Ghetto sagen
zu lernen: "Ich bin ich, und ich bin gut, weil Gott keinen Mist
baut." Die Schöpfung Erde ist nicht gefallen, und Menschen
sind letztlich auf Gegenseitigkeit und Autonomie angelegt Solche ganzheitliche
Sicht ist tief in der Bibel verankert, und es war ein christlicher
Sündenfall, die Erbsünde zur Grundlage theologischen Menschenverständnisses
zu machen. "Sich an allen Ecken wundstoßen und ganz bleiben",
so beschrieb die Dichterin Rose Ausländer unser Leben in der
Kraft des Ganzseins.
Und schließlich finden Frauen heute auch wieder einen religiösen
Zugang zu dem Wort schön. Es ist längst ausgewandert aus
der Kirchensprache, aber dem jungen, noch leidenschaftlichen Luther
fuhr es in die Feder: "Die Sünder sind schön, weil
sie geliebt werden." Damit hat er die tief verwandelnde Kraft,
die im christlichen Glauben steckt, für unser eigenes Selbstverständnis
wieder lebendig gemacht. Die Kraft, die in der Wandlung vom Kreuz
zur Auferstehung, vom Tod zum Leben steckt. Christen und Christinnen
bleiben derzeit fixiert auf das Negative. Sie sind beredt, über
Leiden und Kreuze zu sprechen, sind aber aussageschwach, wenn es um
Auferstehung und Leben geht. "Wir haben eine Menge über
Leid zu sagen", klagt eine Pfarrerin, "doch wir verstummen,
wenn es um Glück geht." Und bei Schönheit verschlägt
es uns die Sprache. Wenn wir aber die verwandelnden Energien Gottes
wieder ernst nehmen, entdecken wir auch Schönheit wieder in uns
und unter uns. Es ist die Besonderheit und Einzigartigkeit eines Menschen,
einer Geschichte, eines Lebens einer Begegnung, eines Augenblicks,
die uns Schönheit sehen und spüren lässt. Der Satz:
"Ich bin schön" lässt die, die lange im Schatten
lebten, die sich zuweilen als graue Mäuse sahen, nicht mehr nur
ihre Nützlichkeit, sondern ihre Unverwechselbarkeit sehen.
Für solche Rechtfertigung aus feministischer Sicht braucht es
mehr als Worte, es braucht Rituale. Solche Rechtfertigung ist weder
katholisch noch evangelisch. Sie ist an Menschen und ihre Zukunft
orientiert.
Elisabeth Moltmann-Wendel,
Tübingen, ist evangelische und Feministische Theologin. In vielen
ihrer Bücher versucht sie, zwischen Fronten zu vermitteln.
Entnommen aus: Publik-Forum
Nr. 19/1999, S. 30f.
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