Auszüge der
Zeitschrift
Kampagne aktuell (Ausgabe 1/01-April), S. 3-24
Gemeinsame
Konferenz
Kirche
und Entwicklung
Rüstungsexportbericht
2000 der GKKE
Vorgelegt
von der GKKE-Fachgrupppe Rüstungsexporte
Anstelle eines Vorwortes
Auszug aus dem Statement von Prälat
Dr. Karl Jüsten, Katholischer Vorsitzender der GKKE, und Prälat
Dr. Stephan Reimers, Evangelischer Vorsitzender der GKKF, bei der Pressekonferenz
zur Vorstellung des Rüstungsexportberichtes 2000 am 18. Dezember 2000
vor der Bundespressekonferenz in Berlin:
Wie in den zurückliegenden drei Jahren
stellt die Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE) heute erneut
ihren Rüstungsexportbericht – dieses Mal also den Bericht 2000 – vor.
Herr Prälat Paul Bocklet hat vor einem Jahr an dieser Stelle gesagt,
die Kirchen nutzten die "Adventszeit, das überhaupt nicht besinnliche,
dafür aber um so besinnungsbedürftigere Thema der deutschen Waffenlieferungen
in die Öffentlichkeit zu bringen“. Diesem Wort möchten wir uns
uneingeschränkt anschließen.
Wenn die GKKE heute zum vierten Male ihren
Rüstungsexportbericht vorlegt, so kann man schon von einer wenn auch
noch jungen Tradition sprechen – eine Tradition, an die wir auch in den
kommenden Jahren anknüpfen wollen. Denn zum einen haben wir feststellen
können, dass unser Bericht eine recht gute Resonanz in den Medien,
aber auch bei politisch Verantwortlichen und in gesellschaftlichen Gruppen
gefunden hat. Für viele Initiativen in und außerhalb der Kirchen
ist der Rüstungsexportbericht der GKKE zu einer wichtigen Service-Leistung
für die eigene Arbeit geworden – obwohl er mit seiner Mischung aus
Daten und Fakten sowie Analysen des einigermaßen komplexen Bereichs
der deutschen wie europäischen Politik gewiss keine ganz leichte Kost
ist. Dem hier deutlich gewordenen Bedürfnis nach profunder Information
wollen wir auch weiterhin entsprechen.
Mit der Institution eines jährlichen
Berichtes wollen wir darüber hinaus versuchen, das schwierige Gebiet
der Rüstungsexporte dem starken Trend einer politischen und medialen
event-Kultur zu entziehen. Immer wieder haben wir alle ja in den zurückliegenden
Jahren die Erfahrung machen können, dass bestimmte Einzelfälle
– z.B. die Frage von Panzerlieferungen an die Türkei – in Öffentlichkeit
und Politik viel Staub aufgewirbelt haben. Aber kurz nach solchen Eruptionen
ist das Interesse an diesem Politikbereich dann wieder fast vollständig
zusammen gebrochen. Dem gegenüber bemühen wir uns mit unserem
Bericht um ein Stück Kontinuität in derAuseinandersetzung mit
der Rüstungsexportpolitik und versuchen, die Gesamtausrichtung dieser
Politik in den Vordergrund zu rücken.
Die Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung
ist eine Einrichtung der beiden großen Kirchen in diesem Land. Sie
ist zuständig für Fragen der Entwicklungspolitik und der Politik
der internationalen Beziehungen. Diese thematische Ausrichtung bestimmt
auch die Perspektive, mit der wir uns den Rüstungsexporten nähern.
Für uns stehen die Gesichtspunkte der Entwicklungs- und der Menschenrechtsverträglichkeit
im Vordergrund. Das Grundanliegen lautet: In der deutschen und der europäischen
Politik des Rüstungstransfers dürfen wirtschaftliche Interessen
und Interessen der Bündnispolitik nicht dominieren, auch wenn es sich
um prinzipiell legitime Interessen handelt. Statt dessen muss ein Vorrang
für Entwicklung und Menschenrechte sichergestellt werden.
Gerade vor dem Hintergrund des Ringens
um eine eigene europäische Sicherheitsidentität und der Bemühungen
um einer Umstrukturierung der Bundeswehr ist die in den vergangenen Jahrzehnten
eher restriktive Rüstungsexportpolitik Deutschlands neuen Herausforderungen
ausgesetzt. Deshalb muss nachdrücklich daran erinnert werden, dass
die durch Waffenlieferungen angeheizte Rüstungsdynamik in vielen Entwicklungsländern
eine enorme Verschwendung von Ressourcen bedeutet. Durch Rüstungsexporte
angetriebene Hochrüstung führt in vielen Fällen zur Destabilisierung
zwischenstaatlicher Verhältnisse und damit zu einem Umfeld, das der
sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung entgegenarbeitet, ja solche Entwicklung
gelegentlich sogar unmöglich macht und bereits erreichte Entwicklungsfortschritte
zerstört.
Für die Grundausrichtung deutscher
und europäischer Rüstungsexportpolitik ist zudem daran zu erinnern,
dass Waffenlieferungen, die in kurzfristiger Perspektive als vertretbar
oder sogar als sinnvoll erachtet wurden, nach einiger Zeit nicht selten
in ganz anderem Licht erscheinen. Hier sei nur auf das Beispiel Indonesien
hingewiesen.
Die Erfahrungen mehrerer Jahrzehnte lehren:
In langfristiger Perspektive ist eine restriktive Politik der Waffenexporte
nicht nur im Sinne einer politischen Moral vorzuziehen, sondern sie dient
auch den eigenen wohlverstandenen Interessen. Vor allem berücksichtigt
nur eine solche Politik angemessen auch die Belange der armen Länder
und ihrer Bevölkerungen. Deshalb werden sich die Kirchen auch weiterhin
für eine deutsche und europäische Selbstbeschränkung bei
der Lieferung von Waffen und Rüstungsgütern einsetzen.
Teil
1:
Politische
Stellungnahme
1. Die Fachgruppe Rüstungsexporte
1.1 Die Gemeinsame
Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE) hat im Jahr 1999 erneut eine Fachgruppe
Rüstungsexporte berufen. Ihr gehören Vertreter der Kirchen und
Fachleute von wissenschaftlichen Einrichtungen, der Entwicklungszusammenarbeit
und aus Nicht-Regierungsorganisationen an. Seit 1997 veröffentlicht
die Fachgruppe jährlich einen „Rüstungsexportbericht“. Die Texte
stellen die verfügbaren Daten über die deutsche Ausfuhr von Kriegswaffen
und sonstigen Rüstungsgütern des Vorjahres zusammen und unterwerfen
dieses Politikfeld einer ethisch angeleiteten Beurteilung. Die Fachgruppe
will damit argumentativ eine politischgesellschaftliche Debatte darüber
in der Absicht anregen,
-
(1) den Stellenwert der deutschen Rüstungsexporte
im Kontext der Friedens-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik zu unterstreichen,
-
(2) dieses Politikfeld transparenter werden
zu lassen,
-
(3) aktuelle Auseinandersetzungen um deutsche
Rüstungsausfuhren nicht zu einem Schauplatz politischer Auseinandersetzungen
degenerieren zu lassen, die sachfremden Zwecken dienen und die Brisanz
des Themas für Frieden und Entwicklung vernebeln,
-
(4) neuere, drängende Entwicklungen,
zum Beispiel bei den Kleinwaffen, in den Zusammenhang von Frieden und Entwicklung
zu stellen.
1.2 In
diesem Jahr zieht der „Rüstungsexportbericht der GKKE“ eine Bilanz
der deutschen Politik während des zweiten Amtsjahres (1999/2000) der
von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gestellten Bundesregierung.
Dabei gilt es unter anderem zu fragen, ob und wieweit sich die Politischen
Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen
und sonstigen Rüstungsgütern, wie sie am 19.Januar 2000 verabschiedet
wurden, in der Praxis bewährt haben. Der am 20. September 2000 veröffentlichte
„Rüstungsexportbericht“ der Bundesregierung für das Jahr 1999
liefert einen weiteren Anlass, den aktuellen Stand der Rüstungsexportpolitik
zu prüfen und in einen europäischen Kontext zu stellen. Andere
Schwerpunkte bilden die anstehende Reform der Bundeswehr und die Rüstungskooperation
unter den EU-Staaten mit ihren Konsequenzen für den internationalen
Waffenhandel und den deutschen Rüstungsexport. Sie werden zunehmend
den Referenzrahmen für das politische Handeln und das öffentliche
Interesse bestimmen. Außerdem lenkt der Bericht die Aufmerksamkeit
auf die Initiativen, der Verbreitung von Kleinwaffen entgegenzutreten.
Ein statistischer Anhang stellt die jüngst von der Bundesregierung
vorgelegten Daten in einen zeitlich weiterreichenden Zusammenhang und vergleicht
sie mit Auskünften, die sich internationalen Statistiken über
den weltweiten Rüstungshandel und über die deutsche Position
dabei entnehmen lassen.
2. Zusammenhänge
der Argumentation – Parameter der Beurteilung
2.1 Die Fachgruppe
Rüstungsexporte geht von folgenden Annahmen aus:
-
(1) Eine Steigerung der Militärausgaben
in den ärmeren und armen Regionen der Welt schränkt in der Regel
deren Ressourcen ein, um gerechtere Verhältnisse zu schaffen und den
Weg zu einer nachhaltigen, zukunftsfähigen Entwicklung zu ebnen. Rüstungskäufe
und militärische Hilfen aus Industriestaaten an ärmere Staaten
und Regionen hemmen deren wirtschaftliche und soziale Entwicklung. Noch
immer klaffen in vielen Entwicklungsländern Militär- und Sozialausgaben
weit auseinander.
-
(2) Versteht man nachhaltige Sicherheit als
ein zentrales politisches Ziel der Weltgemeinschaft, so muss sich eine
zeitgemäße internationale Sicherheitspolitik der wachsenden
Kluft stellen, die sich zwischen dem Interesse an einzelstaatlicher oder
regionaler Sicherheit und dem Anliegen, für die Menschen jenseits
der Industriestaaten Frieden und Wohlergehen zu gewährleisten, öffnet.
Sie wird durch Rüstungsanstrengungen, einschließlich der Weitergabe
von Waffen und militärischen Gütern, vergrößert. Die
Menschen mit ihrem Bedürfnis, in Frieden zu leben, geraten unter den
Druck einer ungebrochenen, wenn auch regional unterschiedlichen Rüstungs-
und Konfliktdynamik. Das Leiden der Opfern interner und zwischenstaatlicher
Auseinandersetzungen ist unerträglich.
-
(3) Rüstungsanstrengungen einzuschränken
und Rüstungstransfers bindenden Kontrollen zu unterwerfen ist vernünftiger,
als nach Kriegen, ökologischen Katastrophen oder wirtschaftlichen
Zusammenbrüchen Not- und Katastrophenhilfe in die Wege zu leiten.
Diese können zwar die unmittelbare Not lindern, beseitigen jedoch
nicht deren Ursachen. Es ist nicht sinnvoll, dass inzwischen mehr Mittel
aufgewandt werden, um die unmittelbaren Folgen von kriegerischen Auseinandersetzungen
zu beheben, als dafür, langfristig Armut, Verelendung und Naturzerstörung
als Gründen der Kriege entgegenzuwirken.
-
(4) Deutschland als eines der führenden
Industrieländer mit steigendem Gewicht in der internationalen Politik
kann sich seiner Verantwortung für eine nachhaltige und gerechte Entwicklung
sowie für friedliche Beziehungen in globalen wie regionalen Zusammenhängen
nicht entziehen. Dem dürfen kurzfristige wirtschaftliche und politische
Interessen nicht entgegenstehen. Die Entscheidungen über Rüstungsexporte
werden zwar situativ getroffen, erweisen sich aber über die Zeit hinweg
als Vorgänge mit langfristigen Folgen. Auch die deutsche Rüstungsexportpolitik
wird immer wieder von einstmals unbedachten, aus heutiger Sicht verhängnisvollen
Folgen eingeholt. Rüstungsexporte erweisen sich als ungeeignete Mittel,
um entwicklungs- und menschenrechtsorientierte Imperative zu fördern,
wie das Beispiel des aktuellen Streits um Rüstungslieferungen an die
Türkei zeigt.
2.2 Die
Beurteilung der deutschen Rüstungsexporte orientiert sich an folgenden
Parametern:
-
(1) Der politische Umgang mit den Rüstungsexporten
steht in unverzichtbarer Wechselbeziehung mit den Anstrengungen der Entwicklungszusammenarbeit.
Ebenso muss er der Forderung nach Kohärenz der Ziele und Mittel genügen:
Standards der Armutsbekämpfung, der Nachhaltigkeit und der Menschenrechte
können nicht auf der einen Seite hochgehalten, auf der anderen Seite
aber sogenannten „Sicherheitsinteressen“, dem Aufbau einer „europäischen
Sicherheits- und Verteidigungsidentität“ oder dem Wunsch nach wirtschaftlich-technologisch-industrieller
Kooperation nachgeordnet werden. Der verhängnisvolle Zusammenhang
von Rüstung und Kriegen sowie dem Scheitern von Entwicklungsperspektiven
ist hinreichend bekannt und wissenschaftlich wie praktisch aufgeklärt.
Die Einsicht verlangt, strukturelle Fehlentwicklungen umzukehren.
-
(2) Es ist unabdingbar, dass die Rüstungsexporte
im Kontext einer Friedenspolitik gesehen werden. Deren Ziel ist es, Konflikte
zu verhüten, sie gegebenenfalls einzuhegen und die Zerstörungen
zu „heilen“, die Kriege und Gewalt den Menschen, ihren politischen, wirtschaftlichen,
gesellschaftlichen und kulturellen Lebenszusammenhängen und der Natur
zufügen.
-
(3) Die deutschen Rüstungsexporte, ihre
wirksame Kontrolle und ihr Verhältnis zur Entwicklungspolitik sind
inzwischen Teil der politischen und wirtschaftlichen Kooperation in der
Europäischen Union. Das Interesse europäischer Staaten, die Rüstungsexportpolitik
gemeinsamen europäischen Standards zu unterwerfen, hat aus Gründen
der industriellen Kooperation und der politischen Opportunität zugenommen.
Insofern werden Schritte zu einer abgestimmten Politik der Kontrolle von
Rüstungsausfuhren auch zu einem Prüfstein, wie glaubwürdig
Bekenntnisse zur Entwicklungsverträglichkeit im gemeinsamen Handeln
der EU-Mitgliedstaaten sind.
-
(4) Deutschland hat über Jahrzehnte hinweg
eine zurückhaltende Rüstungsexportpolitik verfolgt, verglichen
mit der Exportpraxis anderer Staaten mit großer Rüstungsindustrie.
Sie stützt sich auf entsprechende Vorschriften des Grundgesetzes und
daraus folgender Gesetze. Sie sind in den Kanon des politischen Konsenses
über deutsche Außenpolitik eingegangen. Es besteht kein Anlass,
diese gewonnene Normalität zugunsten des Interesses aufzugeben, auf
europäischer Ebene zu einer intensiveren Rüstungskooperation
zu kommen. Die deutsche Politik kann sich in ihrem Beharren auf einen solchen
Kurs auf politisch-gesellschaftliche Initiativen in vielen anderen europäischen
Ländern stützen, die dafür eintreten, das Stichwort einer
„ethischen Außenpolitik“ nicht nur plakativ zu verwenden. Vielmehr
reflektieren sie das verbreitete Verlangen, in der praktischen Politik
ein hinreichendes Maß an Glaubwürdigkeit wiederzufinden.
-
(5) Deutschland ist jetzt dem Beispiel anderer
Staaten gefolgt und hat mit dem eigenen Rüstungsexportbericht vom
20.9.2000 Daten über den deutschen Rüstungstransfer vorgelegt.
Nach diesem ersten Schritt, der eine Regelmäßigkeit begründen
soll, bleibt abzuwarten, ob sich dadurch die Transparenz insgesamt erhöhen
und die Transfers von Waffen und Rüstungsgütern der Grauzone
entkommen werden, in der sich bislang politische, militärische, wirtschaftliche
und persönliche Interessen der Akteure mischen. Selbst wenn aus rechtlichen
Gründen in Deutschland derzeit eine parlamentarische Kontrolle der
Rüstungsausfuhren auf absehbare Zeit unwahrscheinlich ist, bleibt
die umfassende Information des Bundestages und damit der Öffentlichkeit
geboten.
3.
Deutsche Rüstungsexporte 1999/2000
3.1 Daten und Bewertung
Nach Angaben des Rüstungsexportberichts
der Bundesregierung – „Bericht der Bundesregierung über ihre Exportpolitik
für konventionelle Rüstungsgüter“ vom 20. September 2000
(siehe Ziffer 4.3 und Teil II mit dem statistischen Material) wurden im
Jahr 1999 Kriegswaffen im Wert von 2,844 Milliarden DM exportiert. Wichtigste
Empfängerländer waren Israel und die Türkei. Etwa 40 Prozent
der Lieferungen gingen an Staaten außerhalb der NATO oder ihr gleichgestellte
Staaten. Zum überwiegenden Teil handelte es sich dabei um die Lieferung
von Kriegsschiffen oder von Materialpaketen zu deren Herstellung. Rüstungsgüter
gemäß der Außenwirtschaftsverordnung wurden im Wert von
6,576 Milliarden DM ausgeführt. Mit einem Anteil von 29 Prozent des
gesamten Wertes war die Türkei der wichtigste Empfänger. Weitere
22 Prozent gingen in Entwicklungsländer, vor allem in den Nahen Osten
(Israel und Vereinigte Arabische Emirate), nach Südkorea und Nigeria.
In 41 Fällen wurde der Export von Kleinwaffen und Munition im Wert
von insgesamt etwas mehr als 22 Millionen DM gestattet.
Die Fachgruppe Rüstungsexporte kommentiert
die Daten des Rüstungsexportberichts der Bundesregierung (siehe auch
Ziffer 4.3) in folgender Weise:
-
(1) Die Daten des Rüstungsexportberichts
vom 20. September 2000 decken sich weitgehend mit den international verfügbaren
Statistiken. Sie gehen jedoch über diese hinaus, weil sie auch Lieferungen
jenseits von Großwaffen erfassen und zudem über verweigerte
Ausfuhrgenehmigungen Auskunft geben. Dieser Gesichtspunkt ist insofern
aufschlussreich, als dadurch eine nach Warengruppen differenzierte Genehmigungspraxis
erkennbar wird: Es gibt zahlreiche Fälle, in denen einem Staat die
Einfuhr bestimmter Güter erlaubt, die anderer aber verweigert wurde.
-
(2) Der Bericht der Bundesregierung bezieht
sich allein auf das Jahr 1999. Deshalb verzichtet er darauf, die Jahresdaten
in einen längerfristigen Kontext zu stellen. Sie werden nicht mit
den Ausfuhren anderer Rüstungslieferanten verglichen. Gemessen an
den Daten aus der ersten Hälfte der neunziger Jahre ist der deutsche
Anteil am weltweiten Rüstungshandel zwar zurückgegangen, lässt
aber, wie bereits im Vorjahr abzusehen war, für die kommenden Jahre
eine erneute Steigerung erwarten. Schon im Vergleich zum Jahr 1998 ist
die deutsche Ausfuhr von Kriegswaffen erheblich gestiegen, verursacht durch
die Schiffslieferungen an die Türkei und Südafrika: Im Jahr 1998
hatte der Export noch einen Wert von 1,338 Milliarden DM, während
er sich im darauffolgenden Jahr auf 2,844 Milliarden DM belief. Der deutsche
Anteil am weltweiten Handel mit Großwaffen betrug im Jahr 1999 nach
Angaben von SIPRI circa 6,5 Prozent. Damit gehört Deutschland weiterhin
zum Kreis der „großen Exporteure“ und nimmt je nach Bewertung den
vierten bzw. fünften Platz nach den USA, Frankreich und Russland und
vor bzw. nach Großbritannien, aber noch vor China ein. Abgesehen
von dem Trend, dass der internationale Rüstungshandel weiter zunehmen
wird, haben deutsche Lieferanten bereits umfangreiche Geschäfte, vor
allem im Marinebereich (z.B. mit Südafrika, Israel, Brasilien), abgeschlossen,
die demnächst realisiert werden. Neben Lieferungen der Rüstungsindustrie
wird im Zuge der Umstrukturierung der Bundeswehr vermehrt der Export von
sogenanntem Altmaterial der deutschen Streitkräfte eine Rolle spielen,
außerhalb des Angebots der Rüstungsindustrie, bereits früher
gelieferte Waffen und Ausrüstung zu modernisieren.
-
(3) Gemessen an den Willensbekundungen der
Bundesregierung, gegen die Verbreitung von Kleinwaffen und entsprechender
Munition vorzugehen, sprechen die Zahlen des Rüstungsexportberichts
1999 eine andere Sprache: In viele Staaten, in denen die Menschenrechte
nicht geachtet werden und die in inneren Konflikten stehen, wurden ebensolche
Güter geliefert. Dass der Wert dieser Lieferungen im Vergleich zu
den Großwaffen mit circa 22 Millionen DM vergleichsweise niedrig
ist, darf nicht über die Relevanz dieser Waren für die Gewalteskalationen
hinwegtäuschen. Auch wenn diese Lieferungen unter die Warenkategorie
der ,Jagd- und Sportwaffen“ fallen, ist nicht auszuschließen, dass
sie auch in inneren Konflikten verwandt werden.
Die Fachgruppe teilt außerdem die Klage
von Menschenrechtsorganisationen, dass Waffen und Geräte, die zu Folterzwecken
geeignet sind, in dem Bericht der Bundesregierung keine Erwähnung
finden.
3.2 Unter den
Entscheidungen im Jahr 2000, die Ausfuhr von Kriegswaffen und Rüstungsgütern
zu genehmigen bzw. zu verweigern, waren zahlreiche umstritten, darunter:
-
(1) die Lieferung von 1.200 Panzerfäusten
nach Saudi-Arabien, die nach Presseberichten gegen die Voten des Außen-
und des Entwicklungsministeriums erlaubt wurde;
-
(2) die Weigerung, militärisches Gerät
an Taiwan und Computerausrüstung an die Türkei zu exportieren;
-
(3) die positiv beschiedene Anfrage der Vereinigten
Arabischen Emirate nach einer größeren Anzahl von ABC-Spürpanzern
vom Typ Fuchs;
Ungewiss ist, ob und wie die Bundesregierung
in dem Fall reagiert, dass seitens der Türkei um die Lieferung von
1.000 Panzer des Typs Leopard II nachgesucht wird (siehe Ziffer 4.2). Mit
weiteren Widersprüchen in der Praxis ihrer Rüstungsexportpolitik
sieht sich die Bundesregierung auch durch die bereits getroffene Entscheidung
konfrontiert, eine Munitionsfabrik durch die Firma Fritz Werner in die
Türkei exportieren zu lassen. Dabei handele es sich – so die Befürworter
– nur um den Vollzug einer Voranfrage, die die vorangegangene Regierung
bereits positiv beschieden hatte. Außerdem diene die Anlage, an deren
Fertigung auch Unternehmen in Frankreich und Belgien beteiligt sind, vor
allem dazu, den NATO-Partner Türkei in den Stand zu versetzen, seine
Truppen mit Munition auszustatten, die den NATO-Standards entspreche. Andererseits
ist offensichtlich, dass Deutschland nach den selbst gesetzten Maßstäben
eigentlich eine derartige Fertigungsanlage nicht exportieren darf. Wenn
die Menschenrechtslage in der Türkei ausschließt, dorthin den
Leopard-Panzer zu liefern, dann gelte – so die Gegner der Entscheidung
– dies allzumal für eine Munitionsfabrik. Zudem sei erst recht nicht
gewährleistet, dass dort hergestellte Munition nicht auch zu anderen
Zwecken eingesetzt werden wird und die Vorgaben zur Lizenzfertigung eingehalten
werden.
Darüber hinaus macht die aktuelle
Kontroverse deutlich, dass mit dem Instrument der „Voranfrage“, wie sie
potentielle Lieferanten bei angemeldetem Interesse von Kunden bei deutschen
Genehmigungsbehörden stellen, sorgfältig umgegangen werden muss.
Es ist dabei die Erwartung einer rechtlichen Bindung auszuschließen,
soll das Genehmigungsverfahren als solches nicht entwertet werden. Dies
droht auch, wenn unter der Vorgabe, dass sich die Umstände nicht grundlegend
verändert haben, mit der Entscheidung über eine Voranfrage bereits
die endgültige Entscheidung über die Ausfuhrerlaubnis vorweggenommen
wird.
4. Deutsche
Rüstungsexportpolitik 1999/2000
4.1 Auch
im Jahr 2000 ist die deutsche Rüstungsexportpolitik nicht in ruhigere
Gewässer gelangt, auch wenn sie im Endeffekt besser sein mag als der
Ruf, den sie sich in den Vorjahren erworben hatte. Anstehende Entscheidungen
über die Lieferung von Waffen und Rüstungsgütern dienten
auch in den zurückliegenden zwölf Monaten immer wieder dazu,
das Thema für anders motivierte Kontroversen zu missbrauchen. So sieht
die Bundestagsopposition hier eine Möglichkeit, einen Keil zwischen
die Regierungsparteien zu treiben. Die SPD als stärkste Regierungspartei
wiederum fordert ihren Koalitionspartner Bündnis 90/Die Grünen
zu Bekenntniserklärungen heraus. Sie bringen die Partei in Konflikte
mit ihren eigenen Anhängern, die durch die Regierungsbeteiligung ihre
Prinzipien gefährdet sehen. Gleichzeitig kämpfen die verschiedenen
Regierungsressorts um Dominanz in den Entscheidungsgremien, wie die trotz
Geheimhaltung bekannt gewordenen Abstimmungsergebnisse im Bundessicherheitsrat
offenbaren. Den Stimmen des Verteidigungs- und Wirtschaftsministeriums,
unterstützt durch das Votum des Bundeskanzlers, unterlagen wiederholt
das Außen- und das Entwicklungsministerium. Die Rüstungsindustrie,
nicht selten flankiert von Gewerkschaften und Betriebsräten aus den
Firmen, nutzt die Möglichkeiten, politisch-gesetzliche Spielräume
zu ihren Gunsten auszuloten. Demgegenüber tun sich Öffentlichkeit
und Nicht-Regierungsorganisationen schwer, ein kontinuierliches Interesse
an den eigentlichen Fragen wach zuhalten und für Zustimmung zu einem
weiterhin restriktiven Kurs zu werben. Nicht zuletzt verhindern fehlende
personelle und finanzielle Kapazitäten, dass Reaktionen aus diesem
Umfeld über den Status von „one-issue“-Unternehmen hinauskommen und
ein wirksames Gegengewicht zu den Interessen bilden, die Beschränkungen
des deutschen Rüstungsexports weiter aufzuweichen.
So sehr solche Auseinandersetzungen zum
politischen Alltag in Demokratien gehören, so können sie doch
den Konsens im Grundgesetz in Frage stellen, dass Rüstungsexporte
in der Regel einem friedlichen Zusammenleben von Menschen und Gesellschaften
abträglich sind und eine nachhaltige Entwicklung beeinträchtigen.
Insofern ist der Rüstungsexport als Thema der falsche Ort für
politische Kampfrituale. Die Fachgruppe Rüstungsexporte warnt davor,
den deutschen Rüstungsexport zu einem Reizthema politischer Debatten
degenerieren zu lassen, bei denen es nicht um die Prinzipien und konkreten
Fälle deutscher Rüstungsexportpolitik geht. Auch wenn es gelingen
mag, die öffentlich-politische Diskussion um die Waffen- und Rüstungstransfers
zu versachlichen und von überlagernden Interessen zu befreien, bleiben
die Mängel der politischen Praxis auf diesem Politikfeld offensichtlich.
-
(1) Der deutschen Rüstungsexportpolitik
mangelt es trotz aller anders lautenden Absichtserklärungen an hinreichender
Transparenz, trotz des Fortschritts, den die Veröffentlichung des
Rüstungsexportberichts der Bundesregierung immerhin darstellt. Öffentlichkeit
und Parlament erfahren in der Regel erst nachträglich und nicht umfassend
von getroffenen Abmachungen, denn unter dem rechtlich geschützten
Siegel der Geheimhaltung werden Belange der Interessenten und der Lieferanten
höher eingestuft als eine faire Information. Andersgeleitete politische
Manöver beeinflussen immer wieder die Meinungsbildung. Dementsprechend
umgibt eine Grauzone von Einflussnahme bis hin zur Bestechung diesen Politikbereich,
und es bleibt der Justiz mit ihren bescheidenen Mitteln vorbehalten, im
Nachhinein Gesetzesverstöße aufzuklären. Statt dessen wären
Prävention und Durchlässigkeit imVorfeld von Entscheidungen geboten.
-
(2) Die deutsche Rüstungsexportpolitik
ist trotz mancher Anstrengungen immer noch nicht kohärent:
- Entwicklungspolitischen Gesichtspunkten
wird zu wenig Bedeutung beigemessen.Wenn deutsche Außenpolitik Friedenspolitik
sein soll, müssen Sicherheits- und Entwicklungspolitik Hand in Hand
gehen. So lange das Eine gegen das Andere ausgespielt wird, werden die
politischen Irritationen, die die Entscheidungen für und wider auslösen,
kein Ende finden.
- Unwägbarkeiten trägt auch der
unterschiedliche Grad an Verbindlichkeiten in dieses Politikfeld hinein,
der den einzelnen Regelwerken beizumessen ist. Dies gilt vor allem für
die Beziehung zwischen den nationalstaatlichen Vorschriften und den Absprachen
auf EU-Ebene, zumal hier die Kompetenzen für Wirtschafts- und Sicherheitspolitik
getrennt sind. Mit der sich abzeichnenden verstärkten europäischen
Rüstungskooperation (siehe auch Ziffer 6.1) werden diese Differenzen
noch zunehmen. Die Fachgruppe Rüstungsexporte rät der Bundesregierung,
wie im Koalitionsvertrag von 1998 vorgesehen, in europäischen Zusammenhängen
den restriktiven Kurs der Rüstungsexportpolitik nicht preiszugeben
und statt dessen auf rechtliche Verbindlichkeit einer zurückhaltenden
Praxis zu drängen, da sie zu den Konstanten deutscher Friedenspolitik
zählt.
Die Bundesregierung und die sie tragenden
Koalitionsparteien haben im Jahr 2000 zwei Anläufe unternommen, um
den offenkundigen Defiziten der deutschen Rüstungsexportpolitik entgegenzusteuern.
Der eine galt der Neufassung der „Politischen Grundsätze für
den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern“, der
andere der Vorlage eines „Rüstungsexportberichts“. Beide Initiativen
setzen neue Marken, die in Zukunft Maßstäbe zur Beurteilung
der politischen Praxis liefern werden. Werden sie tatsächlich eingehalten,
könnten sie einmal im Rückblick die Einschätzung rechtfertigen,
dass die deutsche Rüstungsexportpolitik im Jahr 2000 doch besser als
ihr Ruf gewesen sei.
4.2 Am
19.Januar 2000 hat die Bundesregierung eine Neufassung der „Politischen
Grundsätze für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern“
verabschiedet. Die Regierung löste damit ein Versprechen ein, das
die beiden Bundestagsparteien, die die gegenwärtige Regierung tragen,
in ihrem Koalitionsvertrag von 1998 gegeben hatten. Vorangegangen waren
allerdings zunächst ein mühsames, nahezu unergiebiges Ringen
der verschiedenen Regierungsressorts um Formulierungen, die ursprünglich
nur gering von den Grundsätzen aus den achtziger Jahren abweichen
sollten, und dann ein handfester Streit unter den Koalitionären, ob
die Bundesregierung die Lieferung eines Panzers an die Türkei genehmigen
sollte, mit dem sich ein deutsches Unternehmen an einem internationalen
Wettbewerb beteiligen wollte. Die Türkei hatte wissen lassen, vom
Ausgang dieses Vergleichs umfangreiche Bestellungen abhängig zu machen.
Deren Wert sollte nach Unternehmensangaben über mehrere Jahre hinweg
14 Milliarden DM erreichen. Angesichts der regierungsinternen Auseinandersetzungen
unternahm man einen Neuanlauf, an dessen Ausarbeitung auch Mitglieder der
beiden Parlamentsfraktionen beteiligt waren. (Die Gemeinsame Konferenz
Kirche und Entwicklung hat im Februar 2000 durch ihre Vorsitzenden zu den
neuen Politischen Grundsätzen Stellung genommen. Die Bewertung ist
im Anhang zum Rüstungsexportbericht der GKKE für das Jahr 1999
veröffentlicht worden.)
4.3 Am 20.
September 2000 verabschiedete das Bundeskabinett den „Bericht der Bundesregierung
über ihre Exportpolitik für konventionelle Rüstungsgüter
im Jahr 1999 (Rüstungsexportbericht 1999)“, der dem Bundestag zugeleitet
wird. Gemessen an der Aufregung, die in den Vormonaten die deutsche Rüstungsexportpolitik
begleitet hatte, erfolgte dies vergleichsweise unauffällig – am darauf
folgenden Tag war der Wortlaut das Berichts bereits auf der Internet-Selte
des Bundeswirtschaftsministeriums zu finden. Ob dies bereits als „neuer
Stil“ regierungsamtlicher Informationspolitik zu werten ist oder nur den
Umständen geschuldet war, wird sich zeigen, wenn aus der erstmaligen
Veröffentlichung in den kommenden Jahren ein Regelfall wird. Von seiner
Anlage her folgt der Bericht dem Muster anderer europäischer Staaten,
die hier bereits beispielgebend gewirkt haben (siehe Ziffer 4.4).
-
(1) Als Ziel formuliert der Bericht: „Die
Bundesregierung beabsichtigt, durch eine zusammenhängende Darstellung
aller in diesem Zusammenhang relevanten Vorgänge zu einem höheren
Maß an Transparenz beizutragen“. (S. 1 )
Die sprachliche Anhäufung von „Zusammenhängen“
könnte als Zeichen tatsächlicher Verwirrung gewertet werden,
die in einer offensichtlich zu behebenden Unübersichtlichkeit gipfelt.
Immerhin gibt die Bundesregierung zu, dass es auf dem Feld der Rüstungsexportpolitik
ein Defizit an Transparenz gibt und es noch möglich ist, die Durchlässigkeit
zu steigern.
-
(2) Dass die Bundesregierung sich nach vielen
vorangegangenen Ankündigungen entschlossen hat, einen umfassenden
Bericht vorzulegen und sich nicht mit einer beschränkten Lösung
zu begnügen, begrüßt die Fachgruppe Rüstungsexporte.
Das vorliegende Opus beendet die frühere Praxis, entsprechende Zahlen
und Kommentierungen erst dann zu veröffentlichen, wenn im Bundestag
die entsprechende Anfrage einer Fraktion eingegangen war. Die Fachgruppe
Rüstungsexporte hat bereits früher darauf verwiesen, dass dieses
Verfahren immer wieder der Dynamik parlamentarischer Arbeit zum Opfer gefallen
war, wenn andere politische Vorgaben die Agenda des Bundestages bestimmten.
In den Vorjahren blieb oft genug eine solche Anfrage aus, und die Zahlen
kamen nicht ans Licht der Öffentlichkeit. Insofern ist die noch einmal
bekräftige Bereitschaft der Bundesregierung, nunmehr in ein regelmäßiges,
jährliches Berichtswesen einzutreten, ein positives Novum, denn es
entlastet die Abgeordneten davon, ihrerseits die Regierung zu veranlassen,
die entsprechenden Daten offen zu legen. Das beharrliche Drängen vieler
Nicht-Regierungsorganisationen, der Regierungswechsel im Jahr 1998 und
das Beispiel anderer Staaten haben hier einen Wechsel der politischen Praxis
in Deutschland erreicht.
-
(3) Der erste Abschnitt des „Rüstungsexportberichts“
gibt Auskunft über das gesetzliche Regelwerk, das der deutschen Rüstungsexportpolitik
zu Grunde liegt. Ergänzt wird es durch ausführliche Anlagen,
die den aktuellen Stand der Gesetze, der Verordnungen, der Warenlisten
und der einschlägigen europäischen Regelungen dokumentieren.
Außerdem nennt der Bericht die verschiedenen staatlichen Instanzen,
die in das Kontrollregime eingebunden sind. Das Geflecht von Institutionen
und Regeln ist In der Tat kompliziert und deckt mit der dargebotenen Komplexität
auf, warum gerade auf diesem Politikfeld so viele Möglichkeiten für
Rüstungsproduzenten und -händler bestehen, Entscheidungen in
ihrem Sinne zu erreichen. Sie sind nachträglich kaum noch zu rekonstruieren,
wie die Mühen der Justiz auf diesem Feld zeigen, wenn stichhaltige
Anklagen zu erheben und Verstöße zu ahnden sind.
-
(4) Unter Ziffer 1.4 erwähnt der Bericht
das Instrument der „Voranfrage“. Es ist in den Gesetzen und Verordnungen
nicht vorgesehen, sondern hat sich in langjähriger Praxis eingespielt.
Es soll Unternehmen erlauben, im Vorfeld möglicher Kaufverträge
zu erkunden, ob die gewünschten Güter auch ausgeführt werden
dürfen. Haben Unternehmen auf ihre Voranfrage einen positiven Bescheid
erhalten, können sie mit einer Ausfuhrgenehmigung rechnen, „vorbehaltlich
unveränderter Umstände“. Ob sich dieser Vorbehalt auf die Situation
in Deutschland als dem Lieferstaat oder auf das Empfängerland bezieht,
bleibt in der Darstellung offen – eine Unklarheit, die einmal mehr im Sommer
2000 auftrat, als die Bundesregierung den Export einer Munitionsfabrik
in die Türkei erlaubte und dabei auf die bereits Jahre zuvor von ihrer
Vorgängerin positiv beschiedene Voranfrage verwies (siehe Ziffer 3.2).
-
(5) Der Bericht weist unter Ziffer 1.5 darauf
hin, dass im Berichtsjahr 1999 noch die „Politischen Grundsätze“ in
der Fassung von 1982 maßgebend waren. Die mittlerweile überarbeiteten
politischen Richtlinien für die Genehmigungspraxis sind erst mit ihrer
Veröffentlichung am 19.Januar 2000 wirksam geworden. Insofern gesteht
der Bericht ein, dass es hier eine Lücke zwischen den politischen
Zielen der seit 1998 amtierenden Bundesregierung, wie sie zunächst
in den Koalitionsvereinbarungen vom 20. Oktober 1998 festgeschrieben worden
waren, und den verfahrensmäßigen Regelungen gegeben hat. Sie
ist eine Ursache der zahlreichen politischen Kontroversen um die Rüstungsexportpolitik,
denen sich die Bundesregierung und die Koalitionsparteien in den zurückliegenden
Monaten gegenüber gesehen haben. In den innenpolitischen Auseinandersetzungen
ist der Verweis auf diese „Lücke“ als vorgeschobenes Argument bezeichnet
worden.
-
(6) Im zweiten Abschnitt des Berichts ordnet
die Bundesregierung ihre rüstungspolitischen Entscheidungen den weltweiten
Bemühungen um Abrüstung zu. Sie verweist insbesondere auf das
im Jahr 1998 von Deutschland ratifizierte Ottawa-Abkommen, das die Herstellung,
die Weitergabe und den Einsatz von Anti-Personenminen verbietet und deren
Vernichtung vorsieht. Dagegen finden die in den zurückliegenden Jahren
auf den Ebenen der EU und der UN in Gang gekommenen Bemühungen, der
„Kleinwaffenplage“ (siehe Ziffer 7) Herr zu werden, keine Erwähnung.
-
(7) Der dritte Abschnitt des Berichts stellt
die deutsche Rüstungsexportpolitik in den Rahmen multilateraler Kontrollregime.
Dazu zählen unter anderem die international verhängten Embargos,
die Bemühungen der EU um eine einheitliche Rüstungsexportpolitik
und das „Wassenaar-Arrangement“ aus dem Jahr 1996. Dabei verhehlt die Bundesregierung
nicht ihre Unzufriedenheit mit dem Stand der multilateralen Kooperation.
Die von ihr genannten Defizite verdienen unter dem Aspekt Aufmerksamkeit,
ob es gelingen wird, sie in Zukunft auszuräumen:
- Embargos schaffen zwar eine neue Rechtslage,
reichen aber nur soweit, wie die Bereitschaft besteht, sie zu befolgen.
Jedes verhängte Embargo setzt voraus, es einzuhalten oder dessen Einhaltung
durchzusetzen. Gerade die aktuellen weltpolitischen Konfliktherde auf dem
Balkan oder in Afrika zeigen jedoch, wie schwer solche kollektiven Absichtserklärungen
oktroyiert werden können, wenn zugleich der gegenläufige Wille
vorhanden ist, sie zu unterlaufen.
- Der EU-Verhaltenskodex vom 8.Juni 1998
(siehe auch Ziffer 6.3) hat bisher noch keine rechtlich verbindliche Übereinkunft
gefunden. Außerdem ist das „Denial-Verfahren“ – die Regelung, wie
verfahren werden soll, wenn ein Staat ein Ausfuhrbegehren ablehnt und ein
anderer Staat um Lieferung gebeten wird – transparenter zu regeln. Noch
immer ist die Diskrepanz nicht aufgelöst zwischen dem Streben nach
einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU und dem im
EG-Vertrag festgeschriebenen Recht der Staaten, Belange der eigenen Sicherheit,
einschließlich der Herstellung von Waffen wie Rüstungsgütern
und des Handels mit diesen Gütern, autonom zu handhaben (siehe auch
Kommentierung der Empfehlungen der Weizsäcker-Kommission unter Ziffer
5.3).
- Das „Wassenaar-Arrangement“ aus dem Jahr
1996 ist kein völkerrechtlicher Vertrag, sondern nur eine politische
Verpflichtung der 33 Mitgliedsstaaten. Nach Einschätzung der Bundesregierung
funktioniert die Kooperation bei dem Transfer von „Dual-Use-Gütern“
problemlos. Demgegenüber zeigen sich Defizite bei der wechselseitigen
Information über Waffentransfers. Die Bundesregierung fordert deshalb
mehr Disziplin und Transparenz bei den Lieferstaaten, was auf weitreichende
Missstände schließen lässt, auch wenn Ross und Reiter nicht
genannt werden.
- Die Bundesregierung verzichtet darauf,
das seit langem bei der UN geführte Waffenregister einer Bewertung
zu unterwerfen und Kontrollkonventionen für andere Weltregionen, zum
Beispiel im Bereich der Organisation amerikanischer Staaten (OAS), als
Vergleich heranzuziehen.
- Ebenso wenig werden die möglichen
Folgen der inzwischen unter sechs europäischen Staaten vereinbarten
Rüstungskooperation (siehe Ziffer 6.4) für die deutsche Rüstungsexportpolitik
gewürdigt. Der Hinweis, der Bericht bezöge sich nur auf das Jahr
1999, erweist sich unter dem Gesichtspunkt, dass er erst in der zweiten
Hälfte des Jahres 2000 veröffentlicht worden ist, nicht als stichhaltig.
Die Fachgruppe Rüstungsexporte hält es für notwendig, schon
jetzt die Dimensionen dieser rüstungswirtschaftlichen Zusammenarbeit
mitsamt der damit einhergehenden Verpflichtungen als Referenzrahmen für
die deutsche Rüstungsexportpolitik zu berücksichtigen.
-
(8) Der vierte Abschnitt des Berichts stellt
die genehmigten bzw. durchgeführten Exporte von Kriegswaffen und Rüstungsgütern
dar. Dies geschieht freilich unter dem Vorbehalt des Rechts der am Verfahren
Beteiligten, dass ihre Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse gewahrt
bleiben. Wollte man den ansonsten anerkannten Anspruch auf Transparenz
als demokratierelevantes Kriterium einlösen, müssten dem entgegenstehende
Vorgaben des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) für die Fälle
der Rüstungsexporte geändert werden, was politisch durchaus möglich
wäre. So lange dies aussteht, sehen sich die staatlichen Instanzen
– und dies gilt auch für den vorgelegten Bericht – unter der Strafandrohung
des Strafgesetzbuches. Unter diesen Kautelen nennt der Bericht für
das Jahr 1999 die erteilten Genehmigungen bzw. Ablehnungen für die
Ausfuhr von Rüstungsgütern, gegliedert nach Empfängerländern
und aufgeschlüsselt nach Produktgruppen und Werten (siehe Ziffer 3.1).
Allerdings finden sich keine genauen Beschreibungen oder Stückzahlen
der Lieferungen, wie sie das UN-Waffenregister für bestimmte Warenkategorien
enthält.
-
(9) Der Bericht verzichtet jedoch darauf,
ausdrücklich die deutschen Zulieferungen zu Fertigungen in anderen
Staaten aufzulisten. Sofern Lieferungen unter die Vorgaben des Außenwirtschaftsgesetzes
fallen, werden sie zwar genannt, aber nicht von der Lieferung kompletter
Systeme unterschieden. Ferner finden sich keine Hinweise in dem Bericht,
ob und inwieweit die geforderten Endverbleibskontrollen durchgeführt
werden konnten oder wo sich Abweichungen gegenüber gemachten Zusagen
der Empfängerländer haben verifizieren lassen.
-
(10) In einem Fazit betont die Bundesregierung,
dass der Rüstungsexport gemessen an den deutschen Ausfuhren mit 0,3
Prozent im Jahr 1999 nur einen sehr geringen wertmäßigen Anteil
hatte. Dieser Anteil sei zudem auf der gleichen Höhe wie im Vorjahr
– eine Aussage, die insofern zu relativieren ist, als der deutsche Außenhandel
in diesem Jahr seinerseits insgesamt noch einmal um insgesamt 3,9 Prozent
gewachsen ist. Das wiederholte Bekenntnis zu einer zurückhaltenden
Rüstungsexportpolitik würde sich erst dann in der Praxis bestätigen,
wenn der Anteil des Rüstungsexports an den gestiegenen deutschen Ausfuhren
nicht nur gleich bliebe, sondern abnähme. Davon abgesehen verzichtet
der Bericht darauf, eine Relation zwischen den deutschen Rüstungsausfuhren
und den entwicklungspolitischen Anstrengungen herzustellen.
4.4
Die Fachgruppe Rüstungsexporte hat - wie viele Nicht-Regierungsorganisationen
– immer wieder den Mangel an Durchsichtigkeit in der Rüstungsexportpolitik
europäischer Staaten beklagt. Dazu gehört es,
-
die Genehmigungskriterien und den Ablauf des
Genehmigungsverfahrens darzulegen;
-
die Fälle von Ablehnungen und deren Gründe
offen zu legen;
-
detaillierte Angaben zu den erteilten Genehmigungen
und den tatsächlich erfolgten Exporten zu machen, indem man Empfängerland
und Empfänger (Streitkräfte, Polizei, Rüstungsgüterhersteller,
Privatpersonen) identifiziert, das gelieferte Gut in Stückzahl und
Produktbeschreibung benennt und die finanziellen Modalitäten des Transfers
erläutert.
Auf diesem Gebiet haben die europäischen
Staaten in den beiden zurückliegenden Jahren erhebliche Fortschritte
gemacht, indem (1.) sich die EU-Staaten seit 1991 an dem UN-Waffenregister
beteiligen, (2.) die Mitgliedsstaaten der EU gemäß dem EU-Verhaltenskodex
von 1998 regelmäßig berichten (siehe Ziffer 6.3) und (3.) die
meisten Staaten jetzt eigene, zum Teil umfangreiche Berichte ihren Parlamenten
vorlegen und sich damit von der früher üblichen Praxis der Geheimhaltung
verabschieden.
-
(1) Das UN-Waffenregister erfasst Rüstungsgüter
in sieben Kategorien (Kampfpanzer, gepanzerte Kampffahrzeuge, großkalibrige
Artilleriesysteme, Kampfflugzeuge, Angriffshubschrauber, Kriegsschiffe
sowie Raketen und Raketenwerfer) und nennt die jeweiligen Empfängerländer.
Seit 1999 ergänzen die EU-Staaten die zahlenmäßigen Angaben
durch genauere Produktbeschreibungen.
-
(2) Innerhalb der EU-Staaten lässt sich
eine dreifache Abstufung nach dem Grad an Transparenz im Berichtswesen
vornehmen:
(a) Zu der Gruppe der transparentesten
Staaten gehören Großbritannien, Finnland, Italien und Irland.
- Großbritannien hat seinen im Jahr
1999 erstmals vorgelegten Bericht in diesem Jahr noch substantieller gestaltet.
Der Bericht nennt nun für jedes Empfängerland Gesamtzahl und
Wert der exportierten Rüstungsgüter, die Anzahl und den gerundeten
Wert der erteilten Genehmigungen, die Anzahl der je nach Listenposition
erteilten Genehmigungen und eine Auflistung aller Güter, für
die eine Ausfuhrgenehmigung erteilt wurde. Auch wird eine nach Gütern
differenzierte Über sicht abgelehnter Exportgesuche gegeben. Außerdem
ordnet der Bericht die Genehmigungen bzw. Ablehnungen den jeweiligen nationalen
wie europäischen Kriterien zu.
- Der finnische Bericht erfasst insgesamt
neunzehn Kategorien von Waffen und Rüstungsgütern und schlüsselt
deren Wert nach Empfängerländern auf. Im Internet werden erteilte
Genehmigungen sofort veröffentlicht, sobald diese erteilt oder verweigert
worden sind.
- In Italien erhalten das Parlament und
die Öffentlichkeit seit Anfang der neunziger Jahre jährlich einen
Bericht, zu dem sechs beteiligte Regierungsressorts ihre Informationen
beisteuern, allerdings um den Preis, dass Nicht-Regierungsorganisationen
deren Unübersichtlichkeit beklagen. Als einziges Land schlüsselt
Italien Wert, Stückzahl und Waffentyp (aber nicht das Empfängerland)
der erteilten Genehmigungen und tatsächlichen Exporte nach einzelnen
Unternehmen auf. Für jedes Empfängerland nennt der Bericht den
Gesamtexportwert. Das Verteidigungsministerium informiert zudem über
die Empfänger militärischer Dienstleistungen. Einzigartig im
europäischen Vergleich sind auch die Angaben über Finanzierungsmodalitäten
der Rüstungsexporte.
- Irland tritt nur als Hersteller und Exporteur
von Komponenten, die für militärischen Gebrauch bestimmt sind,
und von „Dual-Use-Gütern“ in Erscheinung. Es gibt keinen formellen
Rüstungsexportbericht, jedoch veröffentlicht die Regierung monatlich
auf dem Internet Statistiken mit Angabe der exportierten Güter und
des jeweiligen Empfängerlandes.
(b) Einem Mittelfeld an Transparenz lassen
sich Belgien, Deutschland (siehe Ziffer 4.3), Frankreich, die Niederlande,
Portugal, Spanien und Schweden zuordnen, auch wenn sich die Praxis der
genannten Staaten erheblich voneinander unterscheidet. Die Mehrzahl der
Berichte enthält zumindest das finanzielle Volumen der Genehmigungen
und/ oder der Exporte, zum Teil aufgeschlüsselt nach Empfängerländern,
-regionen und/oder Listenpositionen. Informationen zu Art oder Stückzahl
bestimmter gelieferter oder zugesagter Waffen und Rüstungsgüter
tauchen nicht immer auf.
- In Belgien besteht seit 1991 die rechtliche
Verpflichtung der Regierung, dem Parlament jährlich über die
Umsetzung des „Gesetzes über Import, Export und Transit von Waffen,
Munition und Material für den militärischen Gebrauch und verwandter
Technologien“ zu berichten. Inzwischen wird der Bericht auch veröffentlicht.
Er nennt die Anzahl der Genehmigungen je Empfängerland in vier groben
Kategorien von Waffen und Rüstungsgütern sowie den Gesamtwert
aller Rüstungsexporte in einzelne Länder und Regionen. Einzigartig
im EU-Vergleich ist, dass der Empfänger in den jeweiligen Ländern
genannt wird, allerdings nur aufgeteilt in die Gruppen „Industrie“ (bei
Lieferung von Komponenten), „Privat“ und „Andere“. Bei den Ablehnungen
gibt man den Gesamtwert der nicht erfolgten Exporte, aber nicht die Güterkategorie
oder die Gründe dafür an.
- Die niederländische Regierung veröffentlicht
seit 1998 jährlich einen Bericht, der über den Wert und die nach
zwanzig Gruppen gegliederten Arten von gelieferten Waffen und Rüstungsgütern
unterrichtet. In den Fällen, in denen ein Ausfuhrantrag abgelehnt
wurde, liefern die Niederlande im EU-Vergleich die umfassendsten Informationen,
indem sie das vorgesehene Bestimmungsland, eine ausführliche Beschreibung
des gewünschten Gutes und den Grund der Verweigerung nennen und sich
dabei auf das im EU-Kodex eingeführte Kriterienraster beziehen.
- Schweden war das erste europäische
Land, das einen eigenen Rüstungsexportbericht – seit 1985 – vorgelegt
hat. Im Blick auf den Grad an Transparenz spielt es freilich heute – im
Gegensatz zur dort üblichen Einbindung des Parlaments – keine Vorreiterrolle
mehr. In dem Bericht finden sich der Gesamtwert der erteilten Genehmigungen,
aufgeteilt in die beiden großen Gruppen „militärische Ausrüstung
für den Kampfeinsatz“ und „andere militärische Ausrüstungen“
und jeweils der Wert der Ausfuhren, nach Empfängerregionen und -ländern
gegliedert. Der Bericht nennt auch den Wert der Güter, die er in 28
Kategorien aufschlüsselt. Ungewöhnlich im europäischen Vergleich
ist, dass der schwedische Bericht für die größten Rüstungsfirmen
auch den Wert der von ihnen ausgeführten Güter benennt.
- Der portugiesische Bericht enthält
Informationen zu Genehmigungen und Exporten, mit Angaben zu Wert der Güter,
unterschieden nach Empfängerland und -region. Obwohl er nicht als
geheim eingestuft ist, ist er doch für die Öffentlichkeit schwer
zugänglich.
- In Spanien gibt es seit 1998 einen jährlichen
Bericht über Rüstungsexporte, der Angaben zu den Ausfuhren (Wert
der exportierten Güter je Empfängerland und Exportwerte, in sechs
Güterkategorien unterteilt) enthält. Über erteilte oder
verweigerte Genehmigungen wird nicht informiert.
- Frankreich hat im Jahr 2000 zum ersten
Mal einen Rüstungsexportbericht vorgelegt, der den Wert der eingegangenen
Verträge und der Ausfuhren je Empfängerland nennt. Die ausgeführten
Güter werden danach unterteilt, ob sie für den Einsatz zur See,
zu Lande oder für die Luft bestimmt sind. Bei den aufgelisteten Ablehnungen
nennt man die Kriterien gemäß des EU-Kodex, wobei Angaben zu
Typ und Stückzahl fehlen. Außerdem erfasst der französische
Bericht nicht die Transfers militärischer Güter im Rahmen militärischer
Kooperationsabkommen.
(c) Am wenigsten transparent sind die Genehmigungspraxis
und die Exporte aus Dänemark, Griechenland, Luxemburg und Österreich.
Luxemburg hat zwar keine eigene Rüstungsindustrie und führt nur
in geringen Mengen Jagd- und Sportwaffen aus, spielt aber als Finanz- und
Bankenplatz im internationalen Rüstungshandel eine wichtige Rolle,
zumal viele international tätige Firmen hier ihren Sitz haben. Griechenland
und Österreich veröffentlichen keine Exportdaten, abgesehen von
Meldungen zum UN-Waffenregister und im Rahmen des EU-Kodex. Statt dessen
gibt es in Österreich einen als „vertraulich“ klassifizierten Bericht.
Dänemark hat zugesagt, zum Ende des Jahres 2000 erstmals einen eigenen
Rüstungsexportbericht vorzulegen.
Neben den genannten Transparenzkriterien
spielt zunehmend auch jenes der Zugänglichkeit eine zentrale Rolle.
Die Exportberichte Schwedens, Finnlands und der Niederlande werden bereits
ins Englische übersetzt und sind neben denen aus Belgien, Frankreich,
Großbritannien und Deutschland im Internet zugänglich. So lange
die einzelnen EU-Staaten noch sehr unterschiedliche Aspekte ihrer Rüstungsexportpraxis
offen legen oder geheim halten, ist ein präziser Vergleich auf diesem
Politikfeld nahezu unmöglich. Deshalb hält es die Fachgruppe
Rüstungsexporte zunächst für wünschenswert, dass die
deutsche Seite in ihren Bericht die Informationen aufnimmt, die für
andere EU-Staaten bereits zugänglich sind. Darüber hinaus zeigt
sich der Bedarf, möglichst rasch ein Standardformat für die nationalen
Rüstungsexportberichte aufzustellen, das sich unter den Gesichtspunkten
der Durchsichtigkeit und des Vergleichs an den bestmöglichen Vorbildern
orientieren sollte.
5. Reform der Bundeswehr
und Rüstungsexporte
5.1 Am 14.
Juni 2000 hat die Bundesregierung eine grundlegende Reform der Bundeswehr
in die Wege geleitet. Vorangegangen war die Veröffentlichung des Berichts
„Gemeinsame Sicherheit und Zukunft der Bundeswehr“, den eine unabhängige
Kommission unter Vorsitz des ehemaligen Bundespräsidenten Richard
von Weizsäcker („Weizsäcker-Kommission“) erarbeitet hatte. Die
politische Auseinandersetzung um die Reform der Streitkräfte entzündete
sich vor allem an den verschiedenen Modellen für die personelle Stärke
der Bundeswehr und deren Rekrutierung. Dagegen fanden die sicherheitspolitische
Analyse der Weizsäcker-Kommission und die Perspektiven für den
Auftrag und die daraus folgende Umrüstung wie Neuorganisation der
Bundeswehr weitgehend Zustimmung.
Die Fachgruppe Rüstungsexporte nimmt
dies zum Anlass, das Dokument einer kritischen Würdigung zu unterziehen,
gerade weil sie um die breite Akzeptanz der darin enthaltenen Annahmen
und Schlussfolgerungen weiß. Im Folgenden werden zunächst die
allgemeinen Überlegungen unter entwicklungspolitischer Perspektive
geprüft, bevor dann in einem zweiten Schritt die Ausführungen
zum Rüstungsexport kommentiert werden.
-
(1) Die Weizsäcker-Kommission hält
als „nichtmilitärische Risiken“ fest: „Unruhe und Not werden weiterhin
große Teile der Erde erschüttern. Für die Mehrheit der
Menschen bedeutet Sicherheit nicht nur die Abwesenheit militärischer
Bedrohung, sondern Schutz vor existentiellen Lebensrisiken: Massenmigration
als Folge von Unterentwicklung, Überbevölkerung und Hunger oder
als Folge von Krieg im Kampf um Grenzen, Ackerland oder Wasser; die pandemische
Ausbreitung von Krankheiten; Umweltzerstörung und Klimawandel. Sicherheitsvorsorge
bedeutet deshalb auch, eine Entwicklungspolitik zu betreiben, die Konflikten
vorbeugt, indem sie dem Übel dort entgegenwirkt, wo es entsteht. In
diesem Sinne ist alle Entwicklungspolitik zugleich Sicherheitspolitik.
... Grenzüberschreitende Kriminalität, Menschen-, Waffen- und
Rauschgifthandel untergraben die innere Sicherheit. Ein Anwachsen dieser
Risiken kann die Autorität demokratischer Institutionen in Frage stellen.
Diese Gefahr zu bekämpfen, erfordert verstärkte Zusammenarbeit
in der Aufklärung, Ermittlung und polizeilichen Gefahrenabwehr ...
„ (Ziffer 20-22 des Berichts).
-
(2) Als „militärische Risiken“ sieht
die Weizsäcker-Kommission die Gefahren, die Deutschland wie anderen
Industriestaaten aus den langfristigen rüstungstechnologischen Fortschritten
in einer Reihe von anderen Ländern erwachsen könnten. Dies gilt
vor allem für die Entwicklung von Trägerwaffen mittlerer und
interkontinentaler Reichweite, abgesehen von willkürlichen Unterbrechungen
der internationalen Kommunikation und von Störungen des Weithandels.
Außerdem bleibt das Risiko, dass terroristische Gruppen sich in den
Besitz hochzerstörerischer Waffen bringen – ein Akzent, den die Kommission
mit einem Hinweis auf den Stellenwert der Medienberichterstattung solcher
Vorgänge ergänzt: „Nüchterne Überlegung legt den Schluss
nahe, dass Terroristen im Allgemeinen Regierungen unter Druck setzen wollen;
dafür brauchen sie ängstliche Zuschauer, nicht ungezählte
Tote. Es ist jedoch kein Verlass darauf, dass alle Terroristen sich dieser
Logik beugen“ (Ziffer 23-25 des Berichts).
-
(3) Die Weizsäcker-Kommission plädiert
unter der Überschrift „Der europäische Imperativ“ dafür,
dass die Streitkräfte der EU-Staaten ihre Aufgabe als gemeinsam zu
erfüllende ansehen und alle Möglichkeiten der Zusammenarbeit
nutzen sollen. Neben die Kooperation tritt die Notwendigkeit der Konvergenz.
Die Kommission hält fest: „Treten europäische und deutsche Lösungen
in Konkurrenz, hat die europäische Gemeinsamkeit Vorrang vor nationaler
Optimierung“ (Ziffer 51 des Berichts). Daraus leitet die Weizsäcker-Kommission
die Empfehlung ab, bei der Beschaffung von Großsystemen (Flugzeugen,
Hubschrauber, U-Booten, Schiffen) und bei Logistik und Ausbildung zusammenzuarbeiten.
Außerdem fordert sie, die privatwirtschaftliche Zusammenarbeit der
Rüstungsindustrie zu fördern: „Es ist an der Zeit, dass sich
die Rüstungsindustrie der EU-Mitglieder auf einen künftigen europäischen
Markt hin organisiert“ (Ziffer 58 des Berichts), auch wenn dies mit dem
Abbau bisheriger Fertigungskapazitäten in Deutschland selbst verbunden
ist. Davon werden vor allem Sektoren, in denen Deutschland bisher führend
ist, so beim Panzerbau, bei Fahrzeugen, Rohrartillerie und Munition, betroffen
sein. “Konsolidierte Kernfähigkeiten sollten national nur noch dann
erhalten werden, wenn sich das mit künftigem Ausrüstungsbedarf
begründen lässt, also bei Sensortechnik, Optronik, elektronischer
Kampfführung, Radartechnik, Aufklärungstechnik und bei Präzisions-
und Abstandswaffen und zielsuchenden Waffensystemen“ (Ziffer 204 des Berichts).
-
(4) Die Weizsäcker-Kommission stellt
fest, dass die Bundeswehr gegenwärtig für die neuen Aufgaben
falsch ausgerüstet ist und Überkapazitäten aufweist. Sie
geht davon aus, dass die Zahl der Hauptwaffensysteme des Heeres halbiert
werden kann, sieht man von fälligen Ab- und Umrüstungen bei Luftwaffe
und Marine in kleinerem Umfang einmal ab. Die Kommission empfiehlt, das
in der künftigen Struktur nicht mehr benötigte oder bereits überzählige
militärische Großgerät so schnell wie möglich zu verringern
oder gänzlich auszusondern. ... Nach einer groben Schätzung können
die Bestände an Kampf- und Schützenpanzern sowie an gepanzerter
Artillerie etwa halbiert werden. Ebenso stark können die Stückzahl
des Flugabwehrpanzers ROLAND und des Flugabwehrkanonenpanzers GEPARD schrumpfen.
Da in Krisenzeiten die Fähigkeit zum Sperren von Gelände oder
von Seeabschnitten an Bedeutung verliert, kann die Anzahl der Minen und
Minenleger ebenfalls verringert werden“ (Ziffer 200 des Berichts).
Aus der Perspektive der Fachgruppe
Rüstungsexporte verdient der Bericht der Weizsäcker-Kommission
folgende kritische Würdigung:
a) Die Fachgruppe teilt das entfaltete
umfassende Verständnis von globaler Sicherheit, die nicht allein durch
militärisch bestimmte Risiken gefährdet ist. Insbesondere gilt
dies für die These, dass eine konsequent angelegte Entwicklungspolitik
auch der weltweiten Sicherheit dient. Die Weizsäcker-Kommission hat
zurecht auf den unübersehbaren Zusammenhang von Waffentransfer, Drogenhandel
und grenzüberschreitender Kriminalität aufmerksam gemacht. Diese
Faktoren sind Symptome tiefgreifender Zerrüttungen sozialer, ökologischer,
wirtschaftlicher und politischer Zusammenhänge. Sie bilden den Nährboden
für daraus erwachsende Krisen für Menschen und Gesellschaften
sowie deren Zusammenleben. Deren Ursachen und Folgen können nicht
von den Streitkräften bearbeitet werden. Vielmehr bedarf es dazu eines
umfassenden politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ansatzes,
der in seiner Konkretion auch einschließen mag, Polizei im Rahmen
eines Rechtsstaats einzusetzen.
b) Gewiss trifft es zu, dass Industriestaaten
sich in Zukunft einer wachsenden Rüstungsdynamik und rüstungstechnologischen
Fortschritten gegenübersehen, die von anderen Teilen der Welt ihren
Ausgang nehmen. Allerdings kann man nicht die Augen davor verschließen,
dass die Industriestaaten weiterhin die wichtigsten Urheber, Promotoren
und Vorreiter der Rüstungsdynamik sind. Nicht zuletzt die Vorschläge
der Weizsäcker-Kommission selbst, die Bundeswehr im europäischen
Kontext neu auszurichten und mit modernen Waffen und zukunftsweisender
Rüstungstechnologie auszustatten, unterstreichen einen solchen Impetus.
Auch wenn die Kommission noch einmal die Priorität der Abrüstung
als politische Maxime festschreibt, ist der Bericht der Weizsäcker-Kommission
kein Dokument der Abrüstungsidee. Er wird außerhalb der transatlantischen
Welt ebenfalls nicht in diesem Sinne gelesen werden.
c) Aufmerksamkeit verdient der Hinweis
der Weizsäcker-Kommission auf die zunehmenden Waffen und Zerstörungspotentiale,
die sich schon heute in den Händen von terroristischen Organisationen
befinden. Die Grenzen zwischen ihnen und staatlichen Institutionen sind
in vielen Unruhezonen der Welt fließend. Die Waffen gelangen in der
Regel über legale wie illegale Kanäle dorthin. Die Fachgruppe
Rüstungsexporte teilt die Einschätzung der Weizsäcker-Kommission,
dass die Weltmedienöffentlichkeit – Stichwort: „die ängstlichen
Zuschauer“ – die Wirkung terroristischer Organisationen noch unterstützt.
d) Die Fachgruppe Rüstungsexporte
begrüßt die Vorschläge der Weizsäcker-Kommission,
Sicherheits- und Verteidigungspolitik in Zukunft vorrangig unter den Bedingungen
der europäischen Integration zu gestalten (siehe im Folgenden Ziffer
6). Sie warnt jedoch davor, den damit verbundenen Um- und Rückbau
der deutschen Rüstungsindustrie, die sich bisher auf dem Feld der
Panzer-, Fahrzeug- und Artilleriefertigung profiliert hat, durch verstärkte
Rüstungsexporte zu kompensieren.
e) Die Fachgruppe Rüstungsexporte
geht mit der Weizsäcker-Kommission und deren Fazit konform, dass die
Bundeswehr für einen neu definierten Auftrag gegenwärtig zu viele
und die falschen Waffen hat. Damit eröffnet sich die Chance einer
qualitativen Abrüstung, die noch über die neuen, auf dem Istanbuler
Gipfel im Jahr 1999 getroffenen KSE-Abmachungen hinaus gehen könnte.
Die Vorschläge der Weizsäcker-Kommission bleiben allerdings zu
vage bei ihrer Antwort auf die Frage, was mit den überzähligen
Waffen geschehen soll. Die Fachgruppe sieht die Gefahr, dass Altmaterial
der Bundeswehr auf dem internationalen Rüstungsmarkt angeboten oder
als Militärhilfe weiter gegeben und zur Aufrüstung anderer Staaten
genutzt wird, sei es, um noch Einkünfte zu erzielen, sei es, um Kosten
für die Verschrottung zu sparen oder aber um Konkurrenten auszustechen.
Die Devise „prioritär verschrotten und nicht prioritär verkaufen!“
verlangt grundsätzlich eine sorgfältige Prüfung, Planung
und Umsetzung, wenn Rüstungsschübe anderenorts verhindert werden
sollen.
5.2 Die Ausführungen
der Weizsäcker-Kommission zum Rüstungsexport stießen auf
keinen weiteren Widerspruch in der Öffentlichkeit und in politischen
Zirkeln. Sie werden voraussichtlich die zukünftige Praxis anleiten.
Am Schluss ihres Kapitels „Ausrüstung und Bewaffnung“ widmet die Kommission
dem Rüstungsexport zwei Textspalten und schreibt:
-
(1) „Die Kommission empfiehlt, die nationalen
Richtlinien zum Rüstungsexport zu ergänzen und eine Harmonisierung
der operativen Bestimmungen des Verhaltenskodex der EU für Waffenausfuhren
anzustreben.“
-
(2) „Rüstungsexport ist Teil der Außen-
und Sicherheitspolitik. Im Rahmen der Entfaltung der gemeinsamen europäischen
Außen- und Sicherheitspolitik ist es unerlässlich, auch für
den Rüstungsexport einvernehmliche Richtlinien und Verhaltensmaßstäbe
zu entwickeln. Mit dem europäischen Verhaltenskodex ist ein Verfahren
eingerichtet worden, um Grundsätze und Praxis der Mitgliedstaaten
allmählich einander anzunähern. Langfristig muss der Artikel
296 des Vertrages über die Europäische Gemeinschaft entfallen.
Er nimmt die gesamte Wehrwirtschaft von der Gemeinschaftsregelung aus und
überlässt sie bislang nationaler Entscheidung“ (Ziffer 205 des
Berichts).
-
(3) „So lange dieser Rechtszustand anhält,
steht der Rüstungsexport unter dem Primat nationaler außenpolitischer
Grundsätze. Die deutschen Prinzipien zum Export von Rüstungsgütern
sind im Januar 2000 neu formuliert worden. Die Kommission begrüßt
den Ansatz, die Achtung der Menschenrechte als wichtigen Prüfstein
festzuschreiben. Dennoch sind die Grundsätze noch immer in hohem Maße
auslegungsfähig. Für eine weitere Modifizierung schlägt
die Kommission folgende Kriterien vor:
- Rüstungsexporte in Staaten der NATO,
der Europäischen Union und in zweifelsfrei demokratische Staaten sind
grundsätzlich genehmigungsfähig.
- Rüstungsexporte kommen nicht in
Frage in Staaten, die Menschenrechte gravierend verletzen.
- Der Export von schwimmendem Gerät
kann grundsätzlich genehmigt werden, wenn keine schwerwiegenden Gründe
dagegen sprechen. Die Beweislast liegt bei der Genehmigungsbehörde.
- Wenn der Empfängerstaat Partei
des Nuklearen Nichtverbreitungsvertrages, der Konvention zum Verbot biologischer
und bakteriologischer Waffen und der Chemiewaffenkonvention ist und kein
Verdacht eines Vertragsverstoßes bekannt ist, sollte ABC-Schutzgerät
grundsätzlich geliefert werden können.
- Im Übrigen gelten für den
Export konventionellen Wehrmaterials die Grundsätze des europäischen
Verhaltenskodexes für Rüstungsexporte, des Abkommens von Wassenaar,
des Raketentechnologie-Kontrollregimes, ferner die Bestimmungen von Waffenembargos
der Vereinten Nationen und der Europäischen Union“ (Ziffer 206 des
Berichts).
-
(4) „Vor dem Hintergrund der sich europäisierenden
Rüstungsindustrie sollten sich die EU-Staaten bald auf eine einheitliche
Interpretation der Durchführungsbestimmungen verständigen. Grundsätzlich
darf eine deutsche Beteiligung an gemeinschaftlichen europäischen
Rüstungsprogrammen durch eine nationale Sonderposition beim Rüstungsexport
nicht gefährdet oder gar unmöglich gemacht werden“ (Ziffer 207
des Berichts).
Der Umgang der Weizsäcker-Kommission
mit dem Thema Rüstungsexport führt aus Sicht der Fachgruppe Rüstungsexporte
zu folgenden kritischen Reflexionen:
-
a) Der Bericht der Kommission handelt die
Fragen des Rüstungsexports in dem Kapitel „Ausrüstung und Bewaffnung“
ab. Dabei bedient sie sich nicht der sonst üblichen sachlichen und
rechtlichen Unterscheidung zwischen Kriegswaffen und Rüstungsgütern,
sondern spricht pauschal vom Rüstungsexport oder beschwichtigend von
der Ausfuhr von Wehrmaterial. Dies sollte aber nach Ansicht der Fachgruppe
Rüstungsexporte nicht als Indiz für eine beabsichtigte Aushöhlung
zu Grunde liegender Rechtsnormen dienen.
-
b) Die von der Weizsäcker-Kommission
vertretene These, dass der Rüstungsexport Teil der Außen und
Sicherheitspolitik sei, wird nicht weiter entfaltet oder auf Überlegungen
bezogen, wie sie die Kommission im grundlegenden Kapitel 1 ihres Berichts
unter der Oberschrift „Risiken und Interessen“ dargelegt hat. Statt dessen
dient der Verweis auf die außen- und sicherheitspolitische Dimension,
ohne dass man noch einmal die entwicklungspolitische Seite der Probleme
erwähnt hätte, dazu, den Primat der EU-bezogenen Regelwerke gegenüber
nationalstaatlichen Eigenheiten festzuschreiben. So begrüßenswert
der Europa-Bezug in der Argumentation der Weizsäcker-Kommission allgemein
ist, so verhängnisvoll wäre er, wenn er dazu diente, den Grundlagen
der bisherigen deutschen Politik ihren Boden zu entziehen. Ohnehin verzichtet
die Weizsäcker-Kommission darauf zu klären, worin die postulierte
Harmonisierung des EU-Verhaltenskodex von 1998 bestehen soll: Zielt die
Aussage auf die auch dort auftretenden Konflikte zwischen konkurrierenden
Entscheidungskriterien oder aber auf die im Vergleich zur deutschen Genehmigungspraxis
laxeren anderen EU-Staaten?
-
c) Dagegen erscheint aus Sicht der Fachgruppe
Rüstungsexporte der Vorschlag der Weizsäcker-Kommission sinnvoll,
den Art. 296 der EU-Verträge unter der Bedingung zu modifizieren oder
gar zu eliminieren, dass die sicherheits-, demokratie- und entwicklungsbezogenen
Komponenten jedes Rüstungsexports auch zur Geltung kommen und nicht
wirtschafts- oder industriepolitischen Interessen untergeordnet werden.
-
d) Die Weizsäcker-Kommission ignoriert
im Blick auf die Politischen Grundsätze vom 19.Januar 2000 deren komplexen
Gehalt, wenn sie den Akzent allein auf die Menschenrechtssituation im Empfängerland
von Rüstungslieferungen legt. Dagegen ist es aus Sicht der Fachgruppe
Rüstungsexporte unverzichtbar, die Kriterien der nachhaltigen Entwicklung
und des angemessenen Verhältnisses zwischen Sozial- und Militärausgaben
auch weiterhin in Rechnung zu stellen. Insofern kann sich die Fachgruppe
Rüstungsexporte nicht den Vorschlägen der Weizsäcker-Kommission
anschließen, die Politischen Grundsätze im Sinne einer Vereinfachung
zu verändern. Dies gilt auch für die Ausnahmeregelungen, die
die Weizsäcker-Kommission generell der Genehmigung von Ausfuhren von
„schwimmendem Gerät“ zuteil werden lassen will. Ohne sich noch einmal
mit dem stereotypen Argument auseinander zu setzen, mit U-Booten könne
man nicht auf Demonstranten schießen, berücksichtigt eine allgemeine
Freistellung von Schiffslieferungen nicht die ökonomischen und sozialen
Folgelasten, die maritime Aufrüstungs-Programme für viele Entwicklungsgesellschaften
mit sich bringen. Nicht hinzunehmen ist ebenfalls die Anregung der Weizsäcker-Kommission,
die Genehmigungsbehörde hätte ihrerseits dringende Einwände,
die zudem gravierend sein müssen, zu begründen, da die bisherige
Erfahrung zeigt, wie schwer sich deutsche Behörden immer wieder mit
solchem Ansinnen getan haben.
-
e) Die Fachgruppe Rüstungsexporte schließt
sich der Empfehlung der Weizsäcker-Kommission an, ABC-Schutzgeräte
nur an solche Staaten zu liefern, die den entsprechenden internationalen
Verträgen beigetreten sind. Wäre sie befolgt worden, hätte
die Bundesregierung nicht die Lieferung von ABC-Spürpanzern an die
Vereinigten Arabischen Emirate genehmigen dürfen. Diese gehören
nicht zu den Unterzeichnern von ABC-Waffen-Kontrollregimen.
-
f) Die abschließende Warnung im Bericht
der Weizsäcker-Kommission, nationale Sonderpositionen dürften
der favorisierten Europäisierung der Rüstungsprogramme nicht
entgegenstehen, darf nach Ansicht der Fachgruppe Rüstungsexporte nicht
dazu führen, dass unter dem Vorzeichen einer propagierten „Normalität“
die historisch gewachsenen und gesellschaftlich akzeptierten Vorbehalte
gegen deutsche Rüstungslieferungen ins Ausland beseitigt werden. Vielmehr
wäre im Aushandeln einer gemeinsamen europäischen Rüstungsexportpolitik
auf diese Eigenheiten ebenso Rücksicht zu nehmen wie auf Interessen,
die die Regierungen anderer Staaten artikulieren. Denn es stellt sich die
Frage, ob die hier verdeckt kritisierte bisherige Zurückhaltung nicht
ein essentielles Merkmal deutscher Außen- und Friedenspolitik ist
und damit deren „Normalität“ ausmacht.
Mit dem Bericht der Weizsäcker-Kommission
und dem Rahmenkonzept „Die Bundeswehr sicher ins 21. Jahrhundert – Eckpfeiler
für eine Erneuerung von Grund auf', das der Bundesverteidigungsminister
vorgelegt hat und von der Regierung gebilligt worden ist, hat die anstehende
Reform der Bundeswehr deutlichere Kontur angenommen. Von der praktischen
Umsetzung wird auch die deutsche Rüstungsexportpolitik nicht unberührt
bleiben. Für die Fachgruppe Rüstungsexporte stellt sich von daher
die Aufgabe, auch in Zukunft politische wie praktische Weichenstellungen
zu beobachten und unter ihren Kriterien kritisch zu beurteilen. Nach dem
jetzigen Stand der Dinge besteht zumindest kein Anlass zur Beruhigung.
Zur Fortsetzung
des Berichts hier klicken!
|