Kirch am Eck
und
drumherum

 

 
 
Gerechtigkeit, Friede und
Bewahrung der Schöpfung

 

Auszüge der Zeitschrift Kampagne aktuell (Ausgabe 1/01-April), S. 3-24

Gemeinsame Konferenz 
Kirche und Entwicklung

Rüstungsexportbericht 2000 der GKKE

Vorgelegt von der GKKE-Fachgrupppe Rüstungsexporte




Anstelle eines Vorwortes

Auszug aus dem Statement von Prälat Dr. Karl Jüsten, Katholischer Vorsitzender der GKKE, und Prälat Dr. Stephan Reimers, Evangelischer Vorsitzender der GKKF, bei der Pressekonferenz zur Vorstellung des Rüstungsexportberichtes 2000 am 18. Dezember 2000 vor der Bundespressekonferenz in Berlin:

Wie in den zurückliegenden drei Jahren stellt die Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE) heute erneut ihren Rüstungsexportbericht – dieses Mal also den Bericht 2000 – vor. Herr Prälat Paul Bocklet hat vor einem Jahr an dieser Stelle gesagt, die Kirchen nutzten die "Adventszeit, das überhaupt nicht besinnliche, dafür aber um so besinnungsbedürftigere Thema der deutschen Waffenlieferungen in die Öffentlichkeit zu bringen“. Diesem Wort möchten wir uns uneingeschränkt anschließen.

Wenn die GKKE heute zum vierten Male ihren Rüstungsexportbericht vorlegt, so kann man schon von einer wenn auch noch jungen Tradition sprechen – eine Tradition, an die wir auch in den kommenden Jahren anknüpfen wollen. Denn zum einen haben wir feststellen können, dass unser Bericht eine recht gute Resonanz in den Medien, aber auch bei politisch Verantwortlichen und in gesellschaftlichen Gruppen gefunden hat. Für viele Initiativen in und außerhalb der Kirchen ist der Rüstungsexportbericht der GKKE zu einer wichtigen Service-Leistung für die eigene Arbeit geworden – obwohl er mit seiner Mischung aus Daten und Fakten sowie Analysen des einigermaßen komplexen Bereichs der deutschen wie europäischen Politik gewiss keine ganz leichte Kost ist. Dem hier deutlich gewordenen Bedürfnis nach profunder Information wollen wir auch weiterhin entsprechen.

Mit der Institution eines jährlichen Berichtes wollen wir darüber hinaus versuchen, das schwierige Gebiet der Rüstungsexporte dem starken Trend einer politischen und medialen event-Kultur zu entziehen. Immer wieder haben wir alle ja in den zurückliegenden Jahren die Erfahrung machen können, dass bestimmte Einzelfälle – z.B. die Frage von Panzerlieferungen an die Türkei – in Öffentlichkeit und Politik viel Staub aufgewirbelt haben. Aber kurz nach solchen Eruptionen ist das Interesse an diesem Politikbereich dann wieder fast vollständig zusammen gebrochen. Dem gegenüber bemühen wir uns mit unserem Bericht um ein Stück Kontinuität in derAuseinandersetzung mit der Rüstungsexportpolitik und versuchen, die Gesamtausrichtung dieser Politik in den Vordergrund zu rücken.

Die Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung ist eine Einrichtung der beiden großen Kirchen in diesem Land. Sie ist zuständig für Fragen der Entwicklungspolitik und der Politik der internationalen Beziehungen. Diese thematische Ausrichtung bestimmt auch die Perspektive, mit der wir uns den Rüstungsexporten nähern. Für uns stehen die Gesichtspunkte der Entwicklungs- und der Menschenrechtsverträglichkeit im Vordergrund. Das Grundanliegen lautet: In der deutschen und der europäischen Politik des Rüstungstransfers dürfen wirtschaftliche Interessen und Interessen der Bündnispolitik nicht dominieren, auch wenn es sich um prinzipiell legitime Interessen handelt. Statt dessen muss ein Vorrang für Entwicklung und Menschenrechte sichergestellt werden.

Gerade vor dem Hintergrund des Ringens um eine eigene europäische Sicherheitsidentität und der Bemühungen um einer Umstrukturierung der Bundeswehr ist die in den vergangenen Jahrzehnten eher restriktive Rüstungsexportpolitik Deutschlands neuen Herausforderungen ausgesetzt. Deshalb muss nachdrücklich daran erinnert werden, dass die durch Waffenlieferungen angeheizte Rüstungsdynamik in vielen Entwicklungsländern eine enorme Verschwendung von Ressourcen bedeutet. Durch Rüstungsexporte angetriebene Hochrüstung führt in vielen Fällen zur Destabilisierung zwischenstaatlicher Verhältnisse und damit zu einem Umfeld, das der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung entgegenarbeitet, ja solche Entwicklung gelegentlich sogar unmöglich macht und bereits erreichte Entwicklungsfortschritte zerstört.

Für die Grundausrichtung deutscher und europäischer Rüstungsexportpolitik ist zudem daran zu erinnern, dass Waffenlieferungen, die in kurzfristiger Perspektive als vertretbar oder sogar als sinnvoll erachtet wurden, nach einiger Zeit nicht selten in ganz anderem Licht erscheinen. Hier sei nur auf das Beispiel Indonesien hingewiesen.

Die Erfahrungen mehrerer Jahrzehnte lehren: In langfristiger Perspektive ist eine restriktive Politik der Waffenexporte nicht nur im Sinne einer politischen Moral vorzuziehen, sondern sie dient auch den eigenen wohlverstandenen Interessen. Vor allem berücksichtigt nur eine solche Politik angemessen auch die Belange der armen Länder und ihrer Bevölkerungen. Deshalb werden sich die Kirchen auch weiterhin für eine deutsche und europäische Selbstbeschränkung bei der Lieferung von Waffen und Rüstungsgütern einsetzen.
 

Teil 1:
Politische Stellungnahme

1. Die Fachgruppe Rüstungsexporte

1.1 Die Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE) hat im Jahr 1999 erneut eine Fachgruppe Rüstungsexporte berufen. Ihr gehören Vertreter der Kirchen und Fachleute von wissenschaftlichen Einrichtungen, der Entwicklungszusammenarbeit und aus Nicht-Regierungsorganisationen an. Seit 1997 veröffentlicht die Fachgruppe jährlich einen „Rüstungsexportbericht“. Die Texte stellen die verfügbaren Daten über die deutsche Ausfuhr von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern des Vorjahres zusammen und unterwerfen dieses Politikfeld einer ethisch angeleiteten Beurteilung. Die Fachgruppe will damit argumentativ eine politischgesellschaftliche Debatte darüber in der Absicht anregen, 

  • (1) den Stellenwert der deutschen Rüstungsexporte im Kontext der Friedens-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik zu unterstreichen,
  • (2) dieses Politikfeld transparenter werden zu lassen, 
  • (3) aktuelle Auseinandersetzungen um deutsche Rüstungsausfuhren nicht zu einem Schauplatz politischer Auseinandersetzungen degenerieren zu lassen, die sachfremden Zwecken dienen und die Brisanz des Themas für Frieden und Entwicklung vernebeln,
  • (4) neuere, drängende Entwicklungen, zum Beispiel bei den Kleinwaffen, in den Zusammenhang von Frieden und Entwicklung zu stellen.


1.2 In diesem Jahr zieht der „Rüstungsexportbericht der GKKE“ eine Bilanz der deutschen Politik während des zweiten Amtsjahres (1999/2000) der von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gestellten Bundesregierung. Dabei gilt es unter anderem zu fragen, ob und wieweit sich die Politischen Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern, wie sie am 19.Januar 2000 verabschiedet wurden, in der Praxis bewährt haben. Der am 20. September 2000 veröffentlichte „Rüstungsexportbericht“ der Bundesregierung für das Jahr 1999 liefert einen weiteren Anlass, den aktuellen Stand der Rüstungsexportpolitik zu prüfen und in einen europäischen Kontext zu stellen. Andere Schwerpunkte bilden die anstehende Reform der Bundeswehr und die Rüstungskooperation unter den EU-Staaten mit ihren Konsequenzen für den internationalen Waffenhandel und den deutschen Rüstungsexport. Sie werden zunehmend den Referenzrahmen für das politische Handeln und das öffentliche Interesse bestimmen. Außerdem lenkt der Bericht die Aufmerksamkeit auf die Initiativen, der Verbreitung von Kleinwaffen entgegenzutreten. Ein statistischer Anhang stellt die jüngst von der Bundesregierung vorgelegten Daten in einen zeitlich weiterreichenden Zusammenhang und vergleicht sie mit Auskünften, die sich internationalen Statistiken über den weltweiten Rüstungshandel und über die deutsche Position dabei entnehmen lassen.
 

2.   Zusammenhänge der Argumentation – Parameter der Beurteilung

2.1 Die Fachgruppe Rüstungsexporte geht von folgenden Annahmen aus:

  • (1) Eine Steigerung der Militärausgaben in den ärmeren und armen Regionen der Welt schränkt in der Regel deren Ressourcen ein, um gerechtere Verhältnisse zu schaffen und den Weg zu einer nachhaltigen, zukunftsfähigen Entwicklung zu ebnen. Rüstungskäufe und militärische Hilfen aus Industriestaaten an ärmere Staaten und Regionen hemmen deren wirtschaftliche und soziale Entwicklung. Noch immer klaffen in vielen Entwicklungsländern Militär- und Sozialausgaben weit auseinander.
  • (2) Versteht man nachhaltige Sicherheit als ein zentrales politisches Ziel der Weltgemeinschaft, so muss sich eine zeitgemäße internationale Sicherheitspolitik der wachsenden Kluft stellen, die sich zwischen dem Interesse an einzelstaatlicher oder regionaler Sicherheit und dem Anliegen, für die Menschen jenseits der Industriestaaten Frieden und Wohlergehen zu gewährleisten, öffnet. Sie wird durch Rüstungsanstrengungen, einschließlich der Weitergabe von Waffen und militärischen Gütern, vergrößert. Die Menschen mit ihrem Bedürfnis, in Frieden zu leben, geraten unter den Druck einer ungebrochenen, wenn auch regional unterschiedlichen Rüstungs- und Konfliktdynamik. Das Leiden der Opfern interner und zwischenstaatlicher Auseinandersetzungen ist unerträglich.
  • (3) Rüstungsanstrengungen einzuschränken und Rüstungstransfers bindenden Kontrollen zu unterwerfen ist vernünftiger, als nach Kriegen, ökologischen Katastrophen oder wirtschaftlichen Zusammenbrüchen Not- und Katastrophenhilfe in die Wege zu leiten. Diese können zwar die unmittelbare Not lindern, beseitigen jedoch nicht deren Ursachen. Es ist nicht sinnvoll, dass inzwischen mehr Mittel aufgewandt werden, um die unmittelbaren Folgen von kriegerischen Auseinandersetzungen zu beheben, als dafür, langfristig Armut, Verelendung und Naturzerstörung als Gründen der Kriege entgegenzuwirken.
  • (4) Deutschland als eines der führenden Industrieländer mit steigendem Gewicht in der internationalen Politik kann sich seiner Verantwortung für eine nachhaltige und gerechte Entwicklung sowie für friedliche Beziehungen in globalen wie regionalen Zusammenhängen nicht entziehen. Dem dürfen kurzfristige wirtschaftliche und politische Interessen nicht entgegenstehen. Die Entscheidungen über Rüstungsexporte werden zwar situativ getroffen, erweisen sich aber über die Zeit hinweg als Vorgänge mit langfristigen Folgen. Auch die deutsche Rüstungsexportpolitik wird immer wieder von einstmals unbedachten, aus heutiger Sicht verhängnisvollen Folgen eingeholt. Rüstungsexporte erweisen sich als ungeeignete Mittel, um entwicklungs- und menschenrechtsorientierte Imperative zu fördern, wie das Beispiel des aktuellen Streits um Rüstungslieferungen an die Türkei zeigt.


2.2  Die Beurteilung der deutschen Rüstungsexporte orientiert sich an folgenden Parametern:

  • (1) Der politische Umgang mit den Rüstungsexporten steht in unverzichtbarer Wechselbeziehung mit den Anstrengungen der Entwicklungszusammenarbeit. Ebenso muss er der Forderung nach Kohärenz der Ziele und Mittel genügen: Standards der Armutsbekämpfung, der Nachhaltigkeit und der Menschenrechte können nicht auf der einen Seite hochgehalten, auf der anderen Seite aber sogenannten „Sicherheitsinteressen“, dem Aufbau einer „europäischen Sicherheits- und Verteidigungsidentität“ oder dem Wunsch nach wirtschaftlich-technologisch-industrieller Kooperation nachgeordnet werden. Der verhängnisvolle Zusammenhang von Rüstung und Kriegen sowie dem Scheitern von Entwicklungsperspektiven ist hinreichend bekannt und wissenschaftlich wie praktisch aufgeklärt. Die Einsicht verlangt, strukturelle Fehlentwicklungen umzukehren.
  • (2) Es ist unabdingbar, dass die Rüstungsexporte im Kontext einer Friedenspolitik gesehen werden. Deren Ziel ist es, Konflikte zu verhüten, sie gegebenenfalls einzuhegen und die Zerstörungen zu „heilen“, die Kriege und Gewalt den Menschen, ihren politischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Lebenszusammenhängen und der Natur zufügen.
  • (3) Die deutschen Rüstungsexporte, ihre wirksame Kontrolle und ihr Verhältnis zur Entwicklungspolitik sind inzwischen Teil der politischen und wirtschaftlichen Kooperation in der Europäischen Union. Das Interesse europäischer Staaten, die Rüstungsexportpolitik gemeinsamen europäischen Standards zu unterwerfen, hat aus Gründen der industriellen Kooperation und der politischen Opportunität zugenommen. Insofern werden Schritte zu einer abgestimmten Politik der Kontrolle von Rüstungsausfuhren auch zu einem Prüfstein, wie glaubwürdig Bekenntnisse zur Entwicklungsverträglichkeit im gemeinsamen Handeln der EU-Mitgliedstaaten sind.
  • (4) Deutschland hat über Jahrzehnte hinweg eine zurückhaltende Rüstungsexportpolitik verfolgt, verglichen mit der Exportpraxis anderer Staaten mit großer Rüstungsindustrie. Sie stützt sich auf entsprechende Vorschriften des Grundgesetzes und daraus folgender Gesetze. Sie sind in den Kanon des politischen Konsenses über deutsche Außenpolitik eingegangen. Es besteht kein Anlass, diese gewonnene Normalität zugunsten des Interesses aufzugeben, auf europäischer Ebene zu einer intensiveren Rüstungskooperation zu kommen. Die deutsche Politik kann sich in ihrem Beharren auf einen solchen Kurs auf politisch-gesellschaftliche Initiativen in vielen anderen europäischen Ländern stützen, die dafür eintreten, das Stichwort einer „ethischen Außenpolitik“ nicht nur plakativ zu verwenden. Vielmehr reflektieren sie das verbreitete Verlangen, in der praktischen Politik ein hinreichendes Maß an Glaubwürdigkeit wiederzufinden. 
  • (5) Deutschland ist jetzt dem Beispiel anderer Staaten gefolgt und hat mit dem eigenen Rüstungsexportbericht vom 20.9.2000 Daten über den deutschen Rüstungstransfer vorgelegt. Nach diesem ersten Schritt, der eine Regelmäßigkeit begründen soll, bleibt abzuwarten, ob sich dadurch die Transparenz insgesamt erhöhen und die Transfers von Waffen und Rüstungsgütern der Grauzone entkommen werden, in der sich bislang politische, militärische, wirtschaftliche und persönliche Interessen der Akteure mischen. Selbst wenn aus rechtlichen Gründen in Deutschland derzeit eine parlamentarische Kontrolle der Rüstungsausfuhren auf absehbare Zeit unwahrscheinlich ist, bleibt die umfassende Information des Bundestages und damit der Öffentlichkeit geboten.


3.   Deutsche Rüstungsexporte 1999/2000

3.1 Daten und Bewertung

Nach Angaben des Rüstungsexportberichts der Bundesregierung – „Bericht der Bundesregierung über ihre Exportpolitik für konventionelle Rüstungsgüter“ vom 20. September 2000 (siehe Ziffer 4.3 und Teil II mit dem statistischen Material) wurden im Jahr 1999 Kriegswaffen im Wert von 2,844 Milliarden DM exportiert. Wichtigste Empfängerländer waren Israel und die Türkei. Etwa 40 Prozent der Lieferungen gingen an Staaten außerhalb der NATO oder ihr gleichgestellte Staaten. Zum überwiegenden Teil handelte es sich dabei um die Lieferung von Kriegsschiffen oder von Materialpaketen zu deren Herstellung. Rüstungsgüter gemäß der Außenwirtschaftsverordnung wurden im Wert von 6,576 Milliarden DM ausgeführt. Mit einem Anteil von 29 Prozent des gesamten Wertes war die Türkei der wichtigste Empfänger. Weitere 22 Prozent gingen in Entwicklungsländer, vor allem in den Nahen Osten (Israel und Vereinigte Arabische Emirate), nach Südkorea und Nigeria. In 41 Fällen wurde der Export von Kleinwaffen und Munition im Wert von insgesamt etwas mehr als 22 Millionen DM gestattet.

Die Fachgruppe Rüstungsexporte kommentiert die Daten des Rüstungsexportberichts der Bundesregierung (siehe auch Ziffer 4.3) in folgender Weise: 

  • (1) Die Daten des Rüstungsexportberichts vom 20. September 2000 decken sich weitgehend mit den international verfügbaren Statistiken. Sie gehen jedoch über diese hinaus, weil sie auch Lieferungen jenseits von Großwaffen erfassen und zudem über verweigerte Ausfuhrgenehmigungen Auskunft geben. Dieser Gesichtspunkt ist insofern aufschlussreich, als dadurch eine nach Warengruppen differenzierte Genehmigungspraxis erkennbar wird: Es gibt zahlreiche Fälle, in denen einem Staat die Einfuhr bestimmter Güter erlaubt, die anderer aber verweigert wurde.
  • (2) Der Bericht der Bundesregierung bezieht sich allein auf das Jahr 1999. Deshalb verzichtet er darauf, die Jahresdaten in einen längerfristigen Kontext zu stellen. Sie werden nicht mit den Ausfuhren anderer Rüstungslieferanten verglichen. Gemessen an den Daten aus der ersten Hälfte der neunziger Jahre ist der deutsche Anteil am weltweiten Rüstungshandel zwar zurückgegangen, lässt aber, wie bereits im Vorjahr abzusehen war, für die kommenden Jahre eine erneute Steigerung erwarten. Schon im Vergleich zum Jahr 1998 ist die deutsche Ausfuhr von Kriegswaffen erheblich gestiegen, verursacht durch die Schiffslieferungen an die Türkei und Südafrika: Im Jahr 1998 hatte der Export noch einen Wert von 1,338 Milliarden DM, während er sich im darauffolgenden Jahr auf 2,844 Milliarden DM belief. Der deutsche Anteil am weltweiten Handel mit Großwaffen betrug im Jahr 1999 nach Angaben von SIPRI circa 6,5 Prozent. Damit gehört Deutschland weiterhin zum Kreis der „großen Exporteure“ und nimmt je nach Bewertung den vierten bzw. fünften Platz nach den USA, Frankreich und Russland und vor bzw. nach Großbritannien, aber noch vor China ein. Abgesehen von dem Trend, dass der internationale Rüstungshandel weiter zunehmen wird, haben deutsche Lieferanten bereits umfangreiche Geschäfte, vor allem im Marinebereich (z.B. mit Südafrika, Israel, Brasilien), abgeschlossen, die demnächst realisiert werden. Neben Lieferungen der Rüstungsindustrie wird im Zuge der Umstrukturierung der Bundeswehr vermehrt der Export von sogenanntem Altmaterial der deutschen Streitkräfte eine Rolle spielen, außerhalb des Angebots der Rüstungsindustrie, bereits früher gelieferte Waffen und Ausrüstung zu modernisieren.
  • (3) Gemessen an den Willensbekundungen der Bundesregierung, gegen die Verbreitung von Kleinwaffen und entsprechender Munition vorzugehen, sprechen die Zahlen des Rüstungsexportberichts 1999 eine andere Sprache: In viele Staaten, in denen die Menschenrechte nicht geachtet werden und die in inneren Konflikten stehen, wurden ebensolche Güter geliefert. Dass der Wert dieser Lieferungen im Vergleich zu den Großwaffen mit circa 22 Millionen DM vergleichsweise niedrig ist, darf nicht über die Relevanz dieser Waren für die Gewalteskalationen hinwegtäuschen. Auch wenn diese Lieferungen unter die Warenkategorie der ,Jagd- und Sportwaffen“ fallen, ist nicht auszuschließen, dass sie auch in inneren Konflikten verwandt werden.
Die Fachgruppe teilt außerdem die Klage von Menschenrechtsorganisationen, dass Waffen und Geräte, die zu Folterzwecken geeignet sind, in dem Bericht der Bundesregierung keine Erwähnung finden.

3.2 Unter den Entscheidungen im Jahr 2000, die Ausfuhr von Kriegswaffen und Rüstungsgütern zu genehmigen bzw. zu verweigern, waren zahlreiche umstritten, darunter:

  • (1) die Lieferung von 1.200 Panzerfäusten nach Saudi-Arabien, die nach Presseberichten gegen die Voten des Außen- und des Entwicklungsministeriums erlaubt wurde;
  • (2) die Weigerung, militärisches Gerät an Taiwan und Computerausrüstung an die Türkei zu exportieren;
  • (3) die positiv beschiedene Anfrage der Vereinigten Arabischen Emirate nach einer größeren Anzahl von ABC-Spürpanzern vom Typ Fuchs;
Ungewiss ist, ob und wie die Bundesregierung in dem Fall reagiert, dass seitens der Türkei um die Lieferung von 1.000 Panzer des Typs Leopard II nachgesucht wird (siehe Ziffer 4.2). Mit weiteren Widersprüchen in der Praxis ihrer Rüstungsexportpolitik sieht sich die Bundesregierung auch durch die bereits getroffene Entscheidung konfrontiert, eine Munitionsfabrik durch die Firma Fritz Werner in die Türkei exportieren zu lassen. Dabei handele es sich – so die Befürworter – nur um den Vollzug einer Voranfrage, die die vorangegangene Regierung bereits positiv beschieden hatte. Außerdem diene die Anlage, an deren Fertigung auch Unternehmen in Frankreich und Belgien beteiligt sind, vor allem dazu, den NATO-Partner Türkei in den Stand zu versetzen, seine Truppen mit Munition auszustatten, die den NATO-Standards entspreche. Andererseits ist offensichtlich, dass Deutschland nach den selbst gesetzten Maßstäben eigentlich eine derartige Fertigungsanlage nicht exportieren darf. Wenn die Menschenrechtslage in der Türkei ausschließt, dorthin den Leopard-Panzer zu liefern, dann gelte – so die Gegner der Entscheidung – dies allzumal für eine Munitionsfabrik. Zudem sei erst recht nicht gewährleistet, dass dort hergestellte Munition nicht auch zu anderen Zwecken eingesetzt werden wird und die Vorgaben zur Lizenzfertigung eingehalten werden.

Darüber hinaus macht die aktuelle Kontroverse deutlich, dass mit dem Instrument der „Voranfrage“, wie sie potentielle Lieferanten bei angemeldetem Interesse von Kunden bei deutschen Genehmigungsbehörden stellen, sorgfältig umgegangen werden muss. Es ist dabei die Erwartung einer rechtlichen Bindung auszuschließen, soll das Genehmigungsverfahren als solches nicht entwertet werden. Dies droht auch, wenn unter der Vorgabe, dass sich die Umstände nicht grundlegend verändert haben, mit der Entscheidung über eine Voranfrage bereits die endgültige Entscheidung über die Ausfuhrerlaubnis vorweggenommen wird.
 

4.   Deutsche Rüstungsexportpolitik 1999/2000

4.1  Auch im Jahr 2000 ist die deutsche Rüstungsexportpolitik nicht in ruhigere Gewässer gelangt, auch wenn sie im Endeffekt besser sein mag als der Ruf, den sie sich in den Vorjahren erworben hatte. Anstehende Entscheidungen über die Lieferung von Waffen und Rüstungsgütern dienten auch in den zurückliegenden zwölf Monaten immer wieder dazu, das Thema für anders motivierte Kontroversen zu missbrauchen. So sieht die Bundestagsopposition hier eine Möglichkeit, einen Keil zwischen die Regierungsparteien zu treiben. Die SPD als stärkste Regierungspartei wiederum fordert ihren Koalitionspartner Bündnis 90/Die Grünen zu Bekenntniserklärungen heraus. Sie bringen die Partei in Konflikte mit ihren eigenen Anhängern, die durch die Regierungsbeteiligung ihre Prinzipien gefährdet sehen. Gleichzeitig kämpfen die verschiedenen Regierungsressorts um Dominanz in den Entscheidungsgremien, wie die trotz Geheimhaltung bekannt gewordenen Abstimmungsergebnisse im Bundessicherheitsrat offenbaren. Den Stimmen des Verteidigungs- und Wirtschaftsministeriums, unterstützt durch das Votum des Bundeskanzlers, unterlagen wiederholt das Außen- und das Entwicklungsministerium. Die Rüstungsindustrie, nicht selten flankiert von Gewerkschaften und Betriebsräten aus den Firmen, nutzt die Möglichkeiten, politisch-gesetzliche Spielräume zu ihren Gunsten auszuloten. Demgegenüber tun sich Öffentlichkeit und Nicht-Regierungsorganisationen schwer, ein kontinuierliches Interesse an den eigentlichen Fragen wach zuhalten und für Zustimmung zu einem weiterhin restriktiven Kurs zu werben. Nicht zuletzt verhindern fehlende personelle und finanzielle Kapazitäten, dass Reaktionen aus diesem Umfeld über den Status von „one-issue“-Unternehmen hinauskommen und ein wirksames Gegengewicht zu den Interessen bilden, die Beschränkungen des deutschen Rüstungsexports weiter aufzuweichen.

So sehr solche Auseinandersetzungen zum politischen Alltag in Demokratien gehören, so können sie doch den Konsens im Grundgesetz in Frage stellen, dass Rüstungsexporte in der Regel einem friedlichen Zusammenleben von Menschen und Gesellschaften abträglich sind und eine nachhaltige Entwicklung beeinträchtigen. Insofern ist der Rüstungsexport als Thema der falsche Ort für politische Kampfrituale. Die Fachgruppe Rüstungsexporte warnt davor, den deutschen Rüstungsexport zu einem Reizthema politischer Debatten degenerieren zu lassen, bei denen es nicht um die Prinzipien und konkreten Fälle deutscher Rüstungsexportpolitik geht. Auch wenn es gelingen mag, die öffentlich-politische Diskussion um die Waffen- und Rüstungstransfers zu versachlichen und von überlagernden Interessen zu befreien, bleiben die Mängel der politischen Praxis auf diesem Politikfeld offensichtlich.

  • (1) Der deutschen Rüstungsexportpolitik mangelt es trotz aller anders lautenden Absichtserklärungen an hinreichender Transparenz, trotz des Fortschritts, den die Veröffentlichung des Rüstungsexportberichts der Bundesregierung immerhin darstellt. Öffentlichkeit und Parlament erfahren in der Regel erst nachträglich und nicht umfassend von getroffenen Abmachungen, denn unter dem rechtlich geschützten Siegel der Geheimhaltung werden Belange der Interessenten und der Lieferanten höher eingestuft als eine faire Information. Andersgeleitete politische Manöver beeinflussen immer wieder die Meinungsbildung. Dementsprechend umgibt eine Grauzone von Einflussnahme bis hin zur Bestechung diesen Politikbereich, und es bleibt der Justiz mit ihren bescheidenen Mitteln vorbehalten, im Nachhinein Gesetzesverstöße aufzuklären. Statt dessen wären Prävention und Durchlässigkeit imVorfeld von Entscheidungen geboten. 
  • (2) Die deutsche Rüstungsexportpolitik ist trotz mancher Anstrengungen immer noch nicht kohärent: 

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    - Entwicklungspolitischen Gesichtspunkten wird zu wenig Bedeutung beigemessen.Wenn deutsche Außenpolitik Friedenspolitik sein soll, müssen Sicherheits- und Entwicklungspolitik Hand in Hand gehen. So lange das Eine gegen das Andere ausgespielt wird, werden die politischen Irritationen, die die Entscheidungen für und wider auslösen, kein Ende finden. 

    - Unwägbarkeiten trägt auch der unterschiedliche Grad an Verbindlichkeiten in dieses Politikfeld hinein, der den einzelnen Regelwerken beizumessen ist. Dies gilt vor allem für die Beziehung zwischen den nationalstaatlichen Vorschriften und den Absprachen auf EU-Ebene, zumal hier die Kompetenzen für Wirtschafts- und Sicherheitspolitik getrennt sind. Mit der sich abzeichnenden verstärkten europäischen Rüstungskooperation (siehe auch Ziffer 6.1) werden diese Differenzen noch zunehmen. Die Fachgruppe Rüstungsexporte rät der Bundesregierung, wie im Koalitionsvertrag von 1998 vorgesehen, in europäischen Zusammenhängen den restriktiven Kurs der Rüstungsexportpolitik nicht preiszugeben und statt dessen auf rechtliche Verbindlichkeit einer zurückhaltenden Praxis zu drängen, da sie zu den Konstanten deutscher Friedenspolitik zählt.

Die Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsparteien haben im Jahr 2000 zwei Anläufe unternommen, um den offenkundigen Defiziten der deutschen Rüstungsexportpolitik entgegenzusteuern. Der eine galt der Neufassung der „Politischen Grundsätze für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern“, der andere der Vorlage eines „Rüstungsexportberichts“. Beide Initiativen setzen neue Marken, die in Zukunft Maßstäbe zur Beurteilung der politischen Praxis liefern werden. Werden sie tatsächlich eingehalten, könnten sie einmal im Rückblick die Einschätzung rechtfertigen, dass die deutsche Rüstungsexportpolitik im Jahr 2000 doch besser als ihr Ruf gewesen sei.

4.2  Am 19.Januar 2000 hat die Bundesregierung eine Neufassung der „Politischen Grundsätze für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern“ verabschiedet. Die Regierung löste damit ein Versprechen ein, das die beiden Bundestagsparteien, die die gegenwärtige Regierung tragen, in ihrem Koalitionsvertrag von 1998 gegeben hatten. Vorangegangen waren allerdings zunächst ein mühsames, nahezu unergiebiges Ringen der verschiedenen Regierungsressorts um Formulierungen, die ursprünglich nur gering von den Grundsätzen aus den achtziger Jahren abweichen sollten, und dann ein handfester Streit unter den Koalitionären, ob die Bundesregierung die Lieferung eines Panzers an die Türkei genehmigen sollte, mit dem sich ein deutsches Unternehmen an einem internationalen Wettbewerb beteiligen wollte. Die Türkei hatte wissen lassen, vom Ausgang dieses Vergleichs umfangreiche Bestellungen abhängig zu machen. Deren Wert sollte nach Unternehmensangaben über mehrere Jahre hinweg 14 Milliarden DM erreichen. Angesichts der regierungsinternen Auseinandersetzungen unternahm man einen Neuanlauf, an dessen Ausarbeitung auch Mitglieder der beiden Parlamentsfraktionen beteiligt waren. (Die Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung hat im Februar 2000 durch ihre Vorsitzenden zu den neuen Politischen Grundsätzen Stellung genommen. Die Bewertung ist im Anhang zum Rüstungsexportbericht der GKKE für das Jahr 1999 veröffentlicht worden.)

4.3 Am 20. September 2000 verabschiedete das Bundeskabinett den „Bericht der Bundesregierung über ihre Exportpolitik für konventionelle Rüstungsgüter im Jahr 1999 (Rüstungsexportbericht 1999)“, der dem Bundestag zugeleitet wird. Gemessen an der Aufregung, die in den Vormonaten die deutsche Rüstungsexportpolitik begleitet hatte, erfolgte dies vergleichsweise unauffällig – am darauf folgenden Tag war der Wortlaut das Berichts bereits auf der Internet-Selte des Bundeswirtschaftsministeriums zu finden. Ob dies bereits als „neuer Stil“ regierungsamtlicher Informationspolitik zu werten ist oder nur den Umständen geschuldet war, wird sich zeigen, wenn aus der erstmaligen Veröffentlichung in den kommenden Jahren ein Regelfall wird. Von seiner Anlage her folgt der Bericht dem Muster anderer europäischer Staaten, die hier bereits beispielgebend gewirkt haben (siehe Ziffer 4.4). 

  • (1) Als Ziel formuliert der Bericht: „Die Bundesregierung beabsichtigt, durch eine zusammenhängende Darstellung aller in diesem Zusammenhang relevanten Vorgänge zu einem höheren Maß an Transparenz beizutragen“. (S. 1 ) 

  • Die sprachliche Anhäufung von „Zusammenhängen“ könnte als Zeichen tatsächlicher Verwirrung gewertet werden, die in einer offensichtlich zu behebenden Unübersichtlichkeit gipfelt. Immerhin gibt die Bundesregierung zu, dass es auf dem Feld der Rüstungsexportpolitik ein Defizit an Transparenz gibt und es noch möglich ist, die Durchlässigkeit zu steigern.
  • (2) Dass die Bundesregierung sich nach vielen vorangegangenen Ankündigungen entschlossen hat, einen umfassenden Bericht vorzulegen und sich nicht mit einer beschränkten Lösung zu begnügen, begrüßt die Fachgruppe Rüstungsexporte. Das vorliegende Opus beendet die frühere Praxis, entsprechende Zahlen und Kommentierungen erst dann zu veröffentlichen, wenn im Bundestag die entsprechende Anfrage einer Fraktion eingegangen war. Die Fachgruppe Rüstungsexporte hat bereits früher darauf verwiesen, dass dieses Verfahren immer wieder der Dynamik parlamentarischer Arbeit zum Opfer gefallen war, wenn andere politische Vorgaben die Agenda des Bundestages bestimmten. In den Vorjahren blieb oft genug eine solche Anfrage aus, und die Zahlen kamen nicht ans Licht der Öffentlichkeit. Insofern ist die noch einmal bekräftige Bereitschaft der Bundesregierung, nunmehr in ein regelmäßiges, jährliches Berichtswesen einzutreten, ein positives Novum, denn es entlastet die Abgeordneten davon, ihrerseits die Regierung zu veranlassen, die entsprechenden Daten offen zu legen. Das beharrliche Drängen vieler Nicht-Regierungsorganisationen, der Regierungswechsel im Jahr 1998 und das Beispiel anderer Staaten haben hier einen Wechsel der politischen Praxis in Deutschland erreicht.
  • (3) Der erste Abschnitt des „Rüstungsexportberichts“ gibt Auskunft über das gesetzliche Regelwerk, das der deutschen Rüstungsexportpolitik zu Grunde liegt. Ergänzt wird es durch ausführliche Anlagen, die den aktuellen Stand der Gesetze, der Verordnungen, der Warenlisten und der einschlägigen europäischen Regelungen dokumentieren. Außerdem nennt der Bericht die verschiedenen staatlichen Instanzen, die in das Kontrollregime eingebunden sind. Das Geflecht von Institutionen und Regeln ist In der Tat kompliziert und deckt mit der dargebotenen Komplexität auf, warum gerade auf diesem Politikfeld so viele Möglichkeiten für Rüstungsproduzenten und -händler bestehen, Entscheidungen in ihrem Sinne zu erreichen. Sie sind nachträglich kaum noch zu rekonstruieren, wie die Mühen der Justiz auf diesem Feld zeigen, wenn stichhaltige Anklagen zu erheben und Verstöße zu ahnden sind.
  • (4) Unter Ziffer 1.4 erwähnt der Bericht das Instrument der „Voranfrage“. Es ist in den Gesetzen und Verordnungen nicht vorgesehen, sondern hat sich in langjähriger Praxis eingespielt. Es soll Unternehmen erlauben, im Vorfeld möglicher Kaufverträge zu erkunden, ob die gewünschten Güter auch ausgeführt werden dürfen. Haben Unternehmen auf ihre Voranfrage einen positiven Bescheid erhalten, können sie mit einer Ausfuhrgenehmigung rechnen, „vorbehaltlich unveränderter Umstände“. Ob sich dieser Vorbehalt auf die Situation in Deutschland als dem Lieferstaat oder auf das Empfängerland bezieht, bleibt in der Darstellung offen – eine Unklarheit, die einmal mehr im Sommer 2000 auftrat, als die Bundesregierung den Export einer Munitionsfabrik in die Türkei erlaubte und dabei auf die bereits Jahre zuvor von ihrer Vorgängerin positiv beschiedene Voranfrage verwies (siehe Ziffer 3.2).
  • (5) Der Bericht weist unter Ziffer 1.5 darauf hin, dass im Berichtsjahr 1999 noch die „Politischen Grundsätze“ in der Fassung von 1982 maßgebend waren. Die mittlerweile überarbeiteten politischen Richtlinien für die Genehmigungspraxis sind erst mit ihrer Veröffentlichung am 19.Januar 2000 wirksam geworden. Insofern gesteht der Bericht ein, dass es hier eine Lücke zwischen den politischen Zielen der seit 1998 amtierenden Bundesregierung, wie sie zunächst in den Koalitionsvereinbarungen vom 20. Oktober 1998 festgeschrieben worden waren, und den verfahrensmäßigen Regelungen gegeben hat. Sie ist eine Ursache der zahlreichen politischen Kontroversen um die Rüstungsexportpolitik, denen sich die Bundesregierung und die Koalitionsparteien in den zurückliegenden Monaten gegenüber gesehen haben. In den innenpolitischen Auseinandersetzungen ist der Verweis auf diese „Lücke“ als vorgeschobenes Argument bezeichnet worden.
  • (6) Im zweiten Abschnitt des Berichts ordnet die Bundesregierung ihre rüstungspolitischen Entscheidungen den weltweiten Bemühungen um Abrüstung zu. Sie verweist insbesondere auf das im Jahr 1998 von Deutschland ratifizierte Ottawa-Abkommen, das die Herstellung, die Weitergabe und den Einsatz von Anti-Personenminen verbietet und deren Vernichtung vorsieht. Dagegen finden die in den zurückliegenden Jahren auf den Ebenen der EU und der UN in Gang gekommenen Bemühungen, der „Kleinwaffenplage“ (siehe Ziffer 7) Herr zu werden, keine Erwähnung.
  • (7) Der dritte Abschnitt des Berichts stellt die deutsche Rüstungsexportpolitik in den Rahmen multilateraler Kontrollregime. Dazu zählen unter anderem die international verhängten Embargos, die Bemühungen der EU um eine einheitliche Rüstungsexportpolitik und das „Wassenaar-Arrangement“ aus dem Jahr 1996. Dabei verhehlt die Bundesregierung nicht ihre Unzufriedenheit mit dem Stand der multilateralen Kooperation. Die von ihr genannten Defizite verdienen unter dem Aspekt Aufmerksamkeit, ob es gelingen wird, sie in Zukunft auszuräumen: 

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    - Embargos schaffen zwar eine neue Rechtslage, reichen aber nur soweit, wie die Bereitschaft besteht, sie zu befolgen. Jedes verhängte Embargo setzt voraus, es einzuhalten oder dessen Einhaltung durchzusetzen. Gerade die aktuellen weltpolitischen Konfliktherde auf dem Balkan oder in Afrika zeigen jedoch, wie schwer solche kollektiven Absichtserklärungen oktroyiert werden können, wenn zugleich der gegenläufige Wille vorhanden ist, sie zu unterlaufen. 

    - Der EU-Verhaltenskodex vom 8.Juni 1998 (siehe auch Ziffer 6.3) hat bisher noch keine rechtlich verbindliche Übereinkunft gefunden. Außerdem ist das „Denial-Verfahren“ – die Regelung, wie verfahren werden soll, wenn ein Staat ein Ausfuhrbegehren ablehnt und ein anderer Staat um Lieferung gebeten wird – transparenter zu regeln. Noch immer ist die Diskrepanz nicht aufgelöst zwischen dem Streben nach einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU und dem im EG-Vertrag festgeschriebenen Recht der Staaten, Belange der eigenen Sicherheit, einschließlich der Herstellung von Waffen wie Rüstungsgütern und des Handels mit diesen Gütern, autonom zu handhaben (siehe auch Kommentierung der Empfehlungen der Weizsäcker-Kommission unter Ziffer 5.3).

    - Das „Wassenaar-Arrangement“ aus dem Jahr 1996 ist kein völkerrechtlicher Vertrag, sondern nur eine politische Verpflichtung der 33 Mitgliedsstaaten. Nach Einschätzung der Bundesregierung funktioniert die Kooperation bei dem Transfer von „Dual-Use-Gütern“ problemlos. Demgegenüber zeigen sich Defizite bei der wechselseitigen Information über Waffentransfers. Die Bundesregierung fordert deshalb mehr Disziplin und Transparenz bei den Lieferstaaten, was auf weitreichende Missstände schließen lässt, auch wenn Ross und Reiter nicht genannt werden. 

    - Die Bundesregierung verzichtet darauf, das seit langem bei der UN geführte Waffenregister einer Bewertung zu unterwerfen und Kontrollkonventionen für andere Weltregionen, zum Beispiel im Bereich der Organisation amerikanischer Staaten (OAS), als Vergleich heranzuziehen. 

    - Ebenso wenig werden die möglichen Folgen der inzwischen unter sechs europäischen Staaten vereinbarten Rüstungskooperation (siehe Ziffer 6.4) für die deutsche Rüstungsexportpolitik gewürdigt. Der Hinweis, der Bericht bezöge sich nur auf das Jahr 1999, erweist sich unter dem Gesichtspunkt, dass er erst in der zweiten Hälfte des Jahres 2000 veröffentlicht worden ist, nicht als stichhaltig. Die Fachgruppe Rüstungsexporte hält es für notwendig, schon jetzt die Dimensionen dieser rüstungswirtschaftlichen Zusammenarbeit mitsamt der damit einhergehenden Verpflichtungen als Referenzrahmen für die deutsche Rüstungsexportpolitik zu berücksichtigen.

  • (8) Der vierte Abschnitt des Berichts stellt die genehmigten bzw. durchgeführten Exporte von Kriegswaffen und Rüstungsgütern dar. Dies geschieht freilich unter dem Vorbehalt des Rechts der am Verfahren Beteiligten, dass ihre Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse gewahrt bleiben. Wollte man den ansonsten anerkannten Anspruch auf Transparenz als demokratierelevantes Kriterium einlösen, müssten dem entgegenstehende Vorgaben des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) für die Fälle der Rüstungsexporte geändert werden, was politisch durchaus möglich wäre. So lange dies aussteht, sehen sich die staatlichen Instanzen – und dies gilt auch für den vorgelegten Bericht – unter der Strafandrohung des Strafgesetzbuches. Unter diesen Kautelen nennt der Bericht für das Jahr 1999 die erteilten Genehmigungen bzw. Ablehnungen für die Ausfuhr von Rüstungsgütern, gegliedert nach Empfängerländern und aufgeschlüsselt nach Produktgruppen und Werten (siehe Ziffer 3.1). Allerdings finden sich keine genauen Beschreibungen oder Stückzahlen der Lieferungen, wie sie das UN-Waffenregister für bestimmte Warenkategorien enthält.
  • (9) Der Bericht verzichtet jedoch darauf, ausdrücklich die deutschen Zulieferungen zu Fertigungen in anderen Staaten aufzulisten. Sofern Lieferungen unter die Vorgaben des Außenwirtschaftsgesetzes fallen, werden sie zwar genannt, aber nicht von der Lieferung kompletter Systeme unterschieden. Ferner finden sich keine Hinweise in dem Bericht, ob und inwieweit die geforderten Endverbleibskontrollen durchgeführt werden konnten oder wo sich Abweichungen gegenüber gemachten Zusagen der Empfängerländer haben verifizieren lassen.
  • (10) In einem Fazit betont die Bundesregierung, dass der Rüstungsexport gemessen an den deutschen Ausfuhren mit 0,3 Prozent im Jahr 1999 nur einen sehr geringen wertmäßigen Anteil hatte. Dieser Anteil sei zudem auf der gleichen Höhe wie im Vorjahr – eine Aussage, die insofern zu relativieren ist, als der deutsche Außenhandel in diesem Jahr seinerseits insgesamt noch einmal um insgesamt 3,9 Prozent gewachsen ist. Das wiederholte Bekenntnis zu einer zurückhaltenden Rüstungsexportpolitik würde sich erst dann in der Praxis bestätigen, wenn der Anteil des Rüstungsexports an den gestiegenen deutschen Ausfuhren nicht nur gleich bliebe, sondern abnähme. Davon abgesehen verzichtet der Bericht darauf, eine Relation zwischen den deutschen Rüstungsausfuhren und den entwicklungspolitischen Anstrengungen herzustellen.


4.4  Die Fachgruppe Rüstungsexporte hat - wie viele Nicht-Regierungsorganisationen – immer wieder den Mangel an Durchsichtigkeit in der Rüstungsexportpolitik europäischer Staaten beklagt. Dazu gehört es,

  • die Genehmigungskriterien und den Ablauf des Genehmigungsverfahrens darzulegen;
  • die Fälle von Ablehnungen und deren Gründe offen zu legen;
  • detaillierte Angaben zu den erteilten Genehmigungen und den tatsächlich erfolgten Exporten zu machen, indem man Empfängerland und Empfänger (Streitkräfte, Polizei, Rüstungsgüterhersteller, Privatpersonen) identifiziert, das gelieferte Gut in Stückzahl und Produktbeschreibung benennt und die finanziellen Modalitäten des Transfers erläutert.
Auf diesem Gebiet haben die europäischen Staaten in den beiden zurückliegenden Jahren erhebliche Fortschritte gemacht, indem (1.) sich die EU-Staaten seit 1991 an dem UN-Waffenregister beteiligen, (2.) die Mitgliedsstaaten der EU gemäß dem EU-Verhaltenskodex von 1998 regelmäßig berichten (siehe Ziffer 6.3) und (3.) die meisten Staaten jetzt eigene, zum Teil umfangreiche Berichte ihren Parlamenten vorlegen und sich damit von der früher üblichen Praxis der Geheimhaltung verabschieden.
  • (1) Das UN-Waffenregister erfasst Rüstungsgüter in sieben Kategorien (Kampfpanzer, gepanzerte Kampffahrzeuge, großkalibrige Artilleriesysteme, Kampfflugzeuge, Angriffshubschrauber, Kriegsschiffe sowie Raketen und Raketenwerfer) und nennt die jeweiligen Empfängerländer. Seit 1999 ergänzen die EU-Staaten die zahlenmäßigen Angaben durch genauere Produktbeschreibungen.
  • (2) Innerhalb der EU-Staaten lässt sich eine dreifache Abstufung nach dem Grad an Transparenz im Berichtswesen vornehmen:

  •  

     

    (a) Zu der Gruppe der transparentesten Staaten gehören Großbritannien, Finnland, Italien und Irland.

    - Großbritannien hat seinen im Jahr 1999 erstmals vorgelegten Bericht in diesem Jahr noch substantieller gestaltet. Der Bericht nennt nun für jedes Empfängerland Gesamtzahl und Wert der exportierten Rüstungsgüter, die Anzahl und den gerundeten Wert der erteilten Genehmigungen, die Anzahl der je nach Listenposition erteilten Genehmigungen und eine Auflistung aller Güter, für die eine Ausfuhrgenehmigung erteilt wurde. Auch wird eine nach Gütern differenzierte Über sicht abgelehnter Exportgesuche gegeben. Außerdem ordnet der Bericht die Genehmigungen bzw. Ablehnungen den jeweiligen nationalen wie europäischen Kriterien zu.

    - Der finnische Bericht erfasst insgesamt neunzehn Kategorien von Waffen und Rüstungsgütern und schlüsselt deren Wert nach Empfängerländern auf. Im Internet werden erteilte Genehmigungen sofort veröffentlicht, sobald diese erteilt oder verweigert worden sind.

    - In Italien erhalten das Parlament und die Öffentlichkeit seit Anfang der neunziger Jahre jährlich einen Bericht, zu dem sechs beteiligte Regierungsressorts ihre Informationen beisteuern, allerdings um den Preis, dass Nicht-Regierungsorganisationen deren Unübersichtlichkeit beklagen. Als einziges Land schlüsselt Italien Wert, Stückzahl und Waffentyp (aber nicht das Empfängerland) der erteilten Genehmigungen und tatsächlichen Exporte nach einzelnen Unternehmen auf. Für jedes Empfängerland nennt der Bericht den Gesamtexportwert. Das Verteidigungsministerium informiert zudem über die Empfänger militärischer Dienstleistungen. Einzigartig im europäischen Vergleich sind auch die Angaben über Finanzierungsmodalitäten der Rüstungsexporte.

    - Irland tritt nur als Hersteller und Exporteur von Komponenten, die für militärischen Gebrauch bestimmt sind, und von „Dual-Use-Gütern“ in Erscheinung. Es gibt keinen formellen Rüstungsexportbericht, jedoch veröffentlicht die Regierung monatlich auf dem Internet Statistiken mit Angabe der exportierten Güter und des jeweiligen Empfängerlandes.

    (b) Einem Mittelfeld an Transparenz lassen sich Belgien, Deutschland (siehe Ziffer 4.3), Frankreich, die Niederlande, Portugal, Spanien und Schweden zuordnen, auch wenn sich die Praxis der genannten Staaten erheblich voneinander unterscheidet. Die Mehrzahl der Berichte enthält zumindest das finanzielle Volumen der Genehmigungen und/ oder der Exporte, zum Teil aufgeschlüsselt nach Empfängerländern, -regionen und/oder Listenpositionen. Informationen zu Art oder Stückzahl bestimmter gelieferter oder zugesagter Waffen und Rüstungsgüter tauchen nicht immer auf.

    - In Belgien besteht seit 1991 die rechtliche Verpflichtung der Regierung, dem Parlament jährlich über die Umsetzung des „Gesetzes über Import, Export und Transit von Waffen, Munition und Material für den militärischen Gebrauch und verwandter Technologien“ zu berichten. Inzwischen wird der Bericht auch veröffentlicht. Er nennt die Anzahl der Genehmigungen je Empfängerland in vier groben Kategorien von Waffen und Rüstungsgütern sowie den Gesamtwert aller Rüstungsexporte in einzelne Länder und Regionen. Einzigartig im EU-Vergleich ist, dass der Empfänger in den jeweiligen Ländern genannt wird, allerdings nur aufgeteilt in die Gruppen „Industrie“ (bei Lieferung von Komponenten), „Privat“ und „Andere“. Bei den Ablehnungen gibt man den Gesamtwert der nicht erfolgten Exporte, aber nicht die Güterkategorie oder die Gründe dafür an. 

    - Die niederländische Regierung veröffentlicht seit 1998 jährlich einen Bericht, der über den Wert und die nach zwanzig Gruppen gegliederten Arten von gelieferten Waffen und Rüstungsgütern unterrichtet. In den Fällen, in denen ein Ausfuhrantrag abgelehnt wurde, liefern die Niederlande im EU-Vergleich die umfassendsten Informationen, indem sie das vorgesehene Bestimmungsland, eine ausführliche Beschreibung des gewünschten Gutes und den Grund der Verweigerung nennen und sich dabei auf das im EU-Kodex eingeführte Kriterienraster beziehen. 

    - Schweden war das erste europäische Land, das einen eigenen Rüstungsexportbericht – seit 1985 – vorgelegt hat. Im Blick auf den Grad an Transparenz spielt es freilich heute – im Gegensatz zur dort üblichen Einbindung des Parlaments – keine Vorreiterrolle mehr. In dem Bericht finden sich der Gesamtwert der erteilten Genehmigungen, aufgeteilt in die beiden großen Gruppen „militärische Ausrüstung für den Kampfeinsatz“ und „andere militärische Ausrüstungen“ und jeweils der Wert der Ausfuhren, nach Empfängerregionen und -ländern gegliedert. Der Bericht nennt auch den Wert der Güter, die er in 28 Kategorien aufschlüsselt. Ungewöhnlich im europäischen Vergleich ist, dass der schwedische Bericht für die größten Rüstungsfirmen auch den Wert der von ihnen ausgeführten Güter benennt. 

    - Der portugiesische Bericht enthält Informationen zu Genehmigungen und Exporten, mit Angaben zu Wert der Güter, unterschieden nach Empfängerland und -region. Obwohl er nicht als geheim eingestuft ist, ist er doch für die Öffentlichkeit schwer zugänglich. 

    - In Spanien gibt es seit 1998 einen jährlichen Bericht über Rüstungsexporte, der Angaben zu den Ausfuhren (Wert der exportierten Güter je Empfängerland und Exportwerte, in sechs Güterkategorien unterteilt) enthält. Über erteilte oder verweigerte Genehmigungen wird nicht informiert. 

    - Frankreich hat im Jahr 2000 zum ersten Mal einen Rüstungsexportbericht vorgelegt, der den Wert der eingegangenen Verträge und der Ausfuhren je Empfängerland nennt. Die ausgeführten Güter werden danach unterteilt, ob sie für den Einsatz zur See, zu Lande oder für die Luft bestimmt sind. Bei den aufgelisteten Ablehnungen nennt man die Kriterien gemäß des EU-Kodex, wobei Angaben zu Typ und Stückzahl fehlen. Außerdem erfasst der französische Bericht nicht die Transfers militärischer Güter im Rahmen militärischer Kooperationsabkommen. 

    (c) Am wenigsten transparent sind die Genehmigungspraxis und die Exporte aus Dänemark, Griechenland, Luxemburg und Österreich. Luxemburg hat zwar keine eigene Rüstungsindustrie und führt nur in geringen Mengen Jagd- und Sportwaffen aus, spielt aber als Finanz- und Bankenplatz im internationalen Rüstungshandel eine wichtige Rolle, zumal viele international tätige Firmen hier ihren Sitz haben. Griechenland und Österreich veröffentlichen keine Exportdaten, abgesehen von Meldungen zum UN-Waffenregister und im Rahmen des EU-Kodex. Statt dessen gibt es in Österreich einen als „vertraulich“ klassifizierten Bericht. Dänemark hat zugesagt, zum Ende des Jahres 2000 erstmals einen eigenen Rüstungsexportbericht vorzulegen.

    Neben den genannten Transparenzkriterien spielt zunehmend auch jenes der Zugänglichkeit eine zentrale Rolle. Die Exportberichte Schwedens, Finnlands und der Niederlande werden bereits ins Englische übersetzt und sind neben denen aus Belgien, Frankreich, Großbritannien und Deutschland im Internet zugänglich. So lange die einzelnen EU-Staaten noch sehr unterschiedliche Aspekte ihrer Rüstungsexportpraxis offen legen oder geheim halten, ist ein präziser Vergleich auf diesem Politikfeld nahezu unmöglich. Deshalb hält es die Fachgruppe Rüstungsexporte zunächst für wünschenswert, dass die deutsche Seite in ihren Bericht die Informationen aufnimmt, die für andere EU-Staaten bereits zugänglich sind. Darüber hinaus zeigt sich der Bedarf, möglichst rasch ein Standardformat für die nationalen Rüstungsexportberichte aufzustellen, das sich unter den Gesichtspunkten der Durchsichtigkeit und des Vergleichs an den bestmöglichen Vorbildern orientieren sollte.
     

5. Reform der Bundeswehr und Rüstungsexporte

5.1 Am 14. Juni 2000 hat die Bundesregierung eine grundlegende Reform der Bundeswehr in die Wege geleitet. Vorangegangen war die Veröffentlichung des Berichts „Gemeinsame Sicherheit und Zukunft der Bundeswehr“, den eine unabhängige Kommission unter Vorsitz des ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker („Weizsäcker-Kommission“) erarbeitet hatte. Die politische Auseinandersetzung um die Reform der Streitkräfte entzündete sich vor allem an den verschiedenen Modellen für die personelle Stärke der Bundeswehr und deren Rekrutierung. Dagegen fanden die sicherheitspolitische Analyse der Weizsäcker-Kommission und die Perspektiven für den Auftrag und die daraus folgende Umrüstung wie Neuorganisation der Bundeswehr weitgehend Zustimmung.

Die Fachgruppe Rüstungsexporte nimmt dies zum Anlass, das Dokument einer kritischen Würdigung zu unterziehen, gerade weil sie um die breite Akzeptanz der darin enthaltenen Annahmen und Schlussfolgerungen weiß. Im Folgenden werden zunächst die allgemeinen Überlegungen unter entwicklungspolitischer Perspektive geprüft, bevor dann in einem zweiten Schritt die Ausführungen zum Rüstungsexport kommentiert werden.

  • (1) Die Weizsäcker-Kommission hält als „nichtmilitärische Risiken“ fest: „Unruhe und Not werden weiterhin große Teile der Erde erschüttern. Für die Mehrheit der Menschen bedeutet Sicherheit nicht nur die Abwesenheit militärischer Bedrohung, sondern Schutz vor existentiellen Lebensrisiken: Massenmigration als Folge von Unterentwicklung, Überbevölkerung und Hunger oder als Folge von Krieg im Kampf um Grenzen, Ackerland oder Wasser; die pandemische Ausbreitung von Krankheiten; Umweltzerstörung und Klimawandel. Sicherheitsvorsorge bedeutet deshalb auch, eine Entwicklungspolitik zu betreiben, die Konflikten vorbeugt, indem sie dem Übel dort entgegenwirkt, wo es entsteht. In diesem Sinne ist alle Entwicklungspolitik zugleich Sicherheitspolitik. ... Grenzüberschreitende Kriminalität, Menschen-, Waffen- und Rauschgifthandel untergraben die innere Sicherheit. Ein Anwachsen dieser Risiken kann die Autorität demokratischer Institutionen in Frage stellen. Diese Gefahr zu bekämpfen, erfordert verstärkte Zusammenarbeit in der Aufklärung, Ermittlung und polizeilichen Gefahrenabwehr ... „ (Ziffer 20-22 des Berichts). 
  • (2) Als „militärische Risiken“ sieht die Weizsäcker-Kommission die Gefahren, die Deutschland wie anderen Industriestaaten aus den langfristigen rüstungstechnologischen Fortschritten in einer Reihe von anderen Ländern erwachsen könnten. Dies gilt vor allem für die Entwicklung von Trägerwaffen mittlerer und interkontinentaler Reichweite, abgesehen von willkürlichen Unterbrechungen der internationalen Kommunikation und von Störungen des Weithandels. Außerdem bleibt das Risiko, dass terroristische Gruppen sich in den Besitz hochzerstörerischer Waffen bringen – ein Akzent, den die Kommission mit einem Hinweis auf den Stellenwert der Medienberichterstattung solcher Vorgänge ergänzt: „Nüchterne Überlegung legt den Schluss nahe, dass Terroristen im Allgemeinen Regierungen unter Druck setzen wollen; dafür brauchen sie ängstliche Zuschauer, nicht ungezählte Tote. Es ist jedoch kein Verlass darauf, dass alle Terroristen sich dieser Logik beugen“ (Ziffer 23-25 des Berichts).
  • (3) Die Weizsäcker-Kommission plädiert unter der Überschrift „Der europäische Imperativ“ dafür, dass die Streitkräfte der EU-Staaten ihre Aufgabe als gemeinsam zu erfüllende ansehen und alle Möglichkeiten der Zusammenarbeit nutzen sollen. Neben die Kooperation tritt die Notwendigkeit der Konvergenz. Die Kommission hält fest: „Treten europäische und deutsche Lösungen in Konkurrenz, hat die europäische Gemeinsamkeit Vorrang vor nationaler Optimierung“ (Ziffer 51 des Berichts). Daraus leitet die Weizsäcker-Kommission die Empfehlung ab, bei der Beschaffung von Großsystemen (Flugzeugen, Hubschrauber, U-Booten, Schiffen) und bei Logistik und Ausbildung zusammenzuarbeiten. Außerdem fordert sie, die privatwirtschaftliche Zusammenarbeit der Rüstungsindustrie zu fördern: „Es ist an der Zeit, dass sich die Rüstungsindustrie der EU-Mitglieder auf einen künftigen europäischen Markt hin organisiert“ (Ziffer 58 des Berichts), auch wenn dies mit dem Abbau bisheriger Fertigungskapazitäten in Deutschland selbst verbunden ist. Davon werden vor allem Sektoren, in denen Deutschland bisher führend ist, so beim Panzerbau, bei Fahrzeugen, Rohrartillerie und Munition, betroffen sein. “Konsolidierte Kernfähigkeiten sollten national nur noch dann erhalten werden, wenn sich das mit künftigem Ausrüstungsbedarf begründen lässt, also bei Sensortechnik, Optronik, elektronischer Kampfführung, Radartechnik, Aufklärungstechnik und bei Präzisions- und Abstandswaffen und zielsuchenden Waffensystemen“ (Ziffer 204 des Berichts).
  • (4) Die Weizsäcker-Kommission stellt fest, dass die Bundeswehr gegenwärtig für die neuen Aufgaben falsch ausgerüstet ist und Überkapazitäten aufweist. Sie geht davon aus, dass die Zahl der Hauptwaffensysteme des Heeres halbiert werden kann, sieht man von fälligen Ab- und Umrüstungen bei Luftwaffe und Marine in kleinerem Umfang einmal ab. Die Kommission empfiehlt, das in der künftigen Struktur nicht mehr benötigte oder bereits überzählige militärische Großgerät so schnell wie möglich zu verringern oder gänzlich auszusondern. ... Nach einer groben Schätzung können die Bestände an Kampf- und Schützenpanzern sowie an gepanzerter Artillerie etwa halbiert werden. Ebenso stark können die Stückzahl des Flugabwehrpanzers ROLAND und des Flugabwehrkanonenpanzers GEPARD schrumpfen. Da in Krisenzeiten die Fähigkeit zum Sperren von Gelände oder von Seeabschnitten an Bedeutung verliert, kann die Anzahl der Minen und Minenleger ebenfalls verringert werden“ (Ziffer 200 des Berichts).


Aus der Perspektive der Fachgruppe Rüstungsexporte verdient der Bericht der Weizsäcker-Kommission folgende kritische Würdigung: 

a) Die Fachgruppe teilt das entfaltete umfassende Verständnis von globaler Sicherheit, die nicht allein durch militärisch bestimmte Risiken gefährdet ist. Insbesondere gilt dies für die These, dass eine konsequent angelegte Entwicklungspolitik auch der weltweiten Sicherheit dient. Die Weizsäcker-Kommission hat zurecht auf den unübersehbaren Zusammenhang von Waffentransfer, Drogenhandel und grenzüberschreitender Kriminalität aufmerksam gemacht. Diese Faktoren sind Symptome tiefgreifender Zerrüttungen sozialer, ökologischer, wirtschaftlicher und politischer Zusammenhänge. Sie bilden den Nährboden für daraus erwachsende Krisen für Menschen und Gesellschaften sowie deren Zusammenleben. Deren Ursachen und Folgen können nicht von den Streitkräften bearbeitet werden. Vielmehr bedarf es dazu eines umfassenden politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ansatzes, der in seiner Konkretion auch einschließen mag, Polizei im Rahmen eines Rechtsstaats einzusetzen. 

b) Gewiss trifft es zu, dass Industriestaaten sich in Zukunft einer wachsenden Rüstungsdynamik und rüstungstechnologischen Fortschritten gegenübersehen, die von anderen Teilen der Welt ihren Ausgang nehmen. Allerdings kann man nicht die Augen davor verschließen, dass die Industriestaaten weiterhin die wichtigsten Urheber, Promotoren und Vorreiter der Rüstungsdynamik sind. Nicht zuletzt die Vorschläge der Weizsäcker-Kommission selbst, die Bundeswehr im europäischen Kontext neu auszurichten und mit modernen Waffen und zukunftsweisender Rüstungstechnologie auszustatten, unterstreichen einen solchen Impetus. Auch wenn die Kommission noch einmal die Priorität der Abrüstung als politische Maxime festschreibt, ist der Bericht der Weizsäcker-Kommission kein Dokument der Abrüstungsidee. Er wird außerhalb der transatlantischen Welt ebenfalls nicht in diesem Sinne gelesen werden. 

c) Aufmerksamkeit verdient der Hinweis der Weizsäcker-Kommission auf die zunehmenden Waffen und Zerstörungspotentiale, die sich schon heute in den Händen von terroristischen Organisationen befinden. Die Grenzen zwischen ihnen und staatlichen Institutionen sind in vielen Unruhezonen der Welt fließend. Die Waffen gelangen in der Regel über legale wie illegale Kanäle dorthin. Die Fachgruppe Rüstungsexporte teilt die Einschätzung der Weizsäcker-Kommission, dass die Weltmedienöffentlichkeit – Stichwort: „die ängstlichen Zuschauer“ – die Wirkung terroristischer Organisationen noch unterstützt. 

d) Die Fachgruppe Rüstungsexporte begrüßt die Vorschläge der Weizsäcker-Kommission, Sicherheits- und Verteidigungspolitik in Zukunft vorrangig unter den Bedingungen der europäischen Integration zu gestalten (siehe im Folgenden Ziffer 6). Sie warnt jedoch davor, den damit verbundenen Um- und Rückbau der deutschen Rüstungsindustrie, die sich bisher auf dem Feld der Panzer-, Fahrzeug- und Artilleriefertigung profiliert hat, durch verstärkte Rüstungsexporte zu kompensieren. 

e) Die Fachgruppe Rüstungsexporte geht mit der Weizsäcker-Kommission und deren Fazit konform, dass die Bundeswehr für einen neu definierten Auftrag gegenwärtig zu viele und die falschen Waffen hat. Damit eröffnet sich die Chance einer qualitativen Abrüstung, die noch über die neuen, auf dem Istanbuler Gipfel im Jahr 1999 getroffenen KSE-Abmachungen hinaus gehen könnte. Die Vorschläge der Weizsäcker-Kommission bleiben allerdings zu vage bei ihrer Antwort auf die Frage, was mit den überzähligen Waffen geschehen soll. Die Fachgruppe sieht die Gefahr, dass Altmaterial der Bundeswehr auf dem internationalen Rüstungsmarkt angeboten oder als Militärhilfe weiter gegeben und zur Aufrüstung anderer Staaten genutzt wird, sei es, um noch Einkünfte zu erzielen, sei es, um Kosten für die Verschrottung zu sparen oder aber um Konkurrenten auszustechen. Die Devise „prioritär verschrotten und nicht prioritär verkaufen!“ verlangt grundsätzlich eine sorgfältige Prüfung, Planung und Umsetzung, wenn Rüstungsschübe anderenorts verhindert werden sollen.

5.2 Die Ausführungen der Weizsäcker-Kommission zum Rüstungsexport stießen auf keinen weiteren Widerspruch in der Öffentlichkeit und in politischen Zirkeln. Sie werden voraussichtlich die zukünftige Praxis anleiten. Am Schluss ihres Kapitels „Ausrüstung und Bewaffnung“ widmet die Kommission dem Rüstungsexport zwei Textspalten und schreibt: 

  • (1) „Die Kommission empfiehlt, die nationalen Richtlinien zum Rüstungsexport zu ergänzen und eine Harmonisierung der operativen Bestimmungen des Verhaltenskodex der EU für Waffenausfuhren anzustreben.“ 
  • (2) „Rüstungsexport ist Teil der Außen- und Sicherheitspolitik. Im Rahmen der Entfaltung der gemeinsamen europäischen Außen- und Sicherheitspolitik ist es unerlässlich, auch für den Rüstungsexport einvernehmliche Richtlinien und Verhaltensmaßstäbe zu entwickeln. Mit dem europäischen Verhaltenskodex ist ein Verfahren eingerichtet worden, um Grundsätze und Praxis der Mitgliedstaaten allmählich einander anzunähern. Langfristig muss der Artikel 296 des Vertrages über die Europäische Gemeinschaft entfallen. Er nimmt die gesamte Wehrwirtschaft von der Gemeinschaftsregelung aus und überlässt sie bislang nationaler Entscheidung“ (Ziffer 205 des Berichts). 
  • (3) „So lange dieser Rechtszustand anhält, steht der Rüstungsexport unter dem Primat nationaler außenpolitischer Grundsätze. Die deutschen Prinzipien zum Export von Rüstungsgütern sind im Januar 2000 neu formuliert worden. Die Kommission begrüßt den Ansatz, die Achtung der Menschenrechte als wichtigen Prüfstein festzuschreiben. Dennoch sind die Grundsätze noch immer in hohem Maße auslegungsfähig. Für eine weitere Modifizierung schlägt die Kommission folgende Kriterien vor:

  •  

     

    - Rüstungsexporte in Staaten der NATO, der Europäischen Union und in zweifelsfrei demokratische Staaten sind grundsätzlich genehmigungsfähig. 
    - Rüstungsexporte kommen nicht in Frage in Staaten, die Menschenrechte gravierend verletzen. 
    - Der Export von schwimmendem Gerät kann grundsätzlich genehmigt werden, wenn keine schwerwiegenden Gründe dagegen sprechen. Die Beweislast liegt bei der Genehmigungsbehörde.
    - Wenn der Empfängerstaat Partei des Nuklearen Nichtverbreitungsvertrages, der Konvention zum Verbot biologischer und bakteriologischer Waffen und der Chemiewaffenkonvention ist und kein Verdacht eines Vertragsverstoßes bekannt ist, sollte ABC-Schutzgerät grundsätzlich geliefert werden können.
    - Im Übrigen gelten für den Export konventionellen Wehrmaterials die Grundsätze des europäischen Verhaltenskodexes für Rüstungsexporte, des Abkommens von Wassenaar, des Raketentechnologie-Kontrollregimes, ferner die Bestimmungen von Waffenembargos der Vereinten Nationen und der Europäischen Union“ (Ziffer 206 des Berichts). 

  • (4) „Vor dem Hintergrund der sich europäisierenden Rüstungsindustrie sollten sich die EU-Staaten bald auf eine einheitliche Interpretation der Durchführungsbestimmungen verständigen. Grundsätzlich darf eine deutsche Beteiligung an gemeinschaftlichen europäischen Rüstungsprogrammen durch eine nationale Sonderposition beim Rüstungsexport nicht gefährdet oder gar unmöglich gemacht werden“ (Ziffer 207 des Berichts).


Der Umgang der Weizsäcker-Kommission mit dem Thema Rüstungsexport führt aus Sicht der Fachgruppe Rüstungsexporte zu folgenden kritischen Reflexionen:

  • a) Der Bericht der Kommission handelt die Fragen des Rüstungsexports in dem Kapitel „Ausrüstung und Bewaffnung“ ab. Dabei bedient sie sich nicht der sonst üblichen sachlichen und rechtlichen Unterscheidung zwischen Kriegswaffen und Rüstungsgütern, sondern spricht pauschal vom Rüstungsexport oder beschwichtigend von der Ausfuhr von Wehrmaterial. Dies sollte aber nach Ansicht der Fachgruppe Rüstungsexporte nicht als Indiz für eine beabsichtigte Aushöhlung zu Grunde liegender Rechtsnormen dienen.

  •  
  • b) Die von der Weizsäcker-Kommission vertretene These, dass der Rüstungsexport Teil der Außen und Sicherheitspolitik sei, wird nicht weiter entfaltet oder auf Überlegungen bezogen, wie sie die Kommission im grundlegenden Kapitel 1 ihres Berichts unter der Oberschrift „Risiken und Interessen“ dargelegt hat. Statt dessen dient der Verweis auf die außen- und sicherheitspolitische Dimension, ohne dass man noch einmal die entwicklungspolitische Seite der Probleme erwähnt hätte, dazu, den Primat der EU-bezogenen Regelwerke gegenüber nationalstaatlichen Eigenheiten festzuschreiben. So begrüßenswert der Europa-Bezug in der Argumentation der Weizsäcker-Kommission allgemein ist, so verhängnisvoll wäre er, wenn er dazu diente, den Grundlagen der bisherigen deutschen Politik ihren Boden zu entziehen. Ohnehin verzichtet die Weizsäcker-Kommission darauf zu klären, worin die postulierte Harmonisierung des EU-Verhaltenskodex von 1998 bestehen soll: Zielt die Aussage auf die auch dort auftretenden Konflikte zwischen konkurrierenden Entscheidungskriterien oder aber auf die im Vergleich zur deutschen Genehmigungspraxis laxeren anderen EU-Staaten? 

  •  
  • c) Dagegen erscheint aus Sicht der Fachgruppe Rüstungsexporte der Vorschlag der Weizsäcker-Kommission sinnvoll, den Art. 296 der EU-Verträge unter der Bedingung zu modifizieren oder gar zu eliminieren, dass die sicherheits-, demokratie- und entwicklungsbezogenen Komponenten jedes Rüstungsexports auch zur Geltung kommen und nicht wirtschafts- oder industriepolitischen Interessen untergeordnet werden.

  •  
  • d) Die Weizsäcker-Kommission ignoriert im Blick auf die Politischen Grundsätze vom 19.Januar 2000 deren komplexen Gehalt, wenn sie den Akzent allein auf die Menschenrechtssituation im Empfängerland von Rüstungslieferungen legt. Dagegen ist es aus Sicht der Fachgruppe Rüstungsexporte unverzichtbar, die Kriterien der nachhaltigen Entwicklung und des angemessenen Verhältnisses zwischen Sozial- und Militärausgaben auch weiterhin in Rechnung zu stellen. Insofern kann sich die Fachgruppe Rüstungsexporte nicht den Vorschlägen der Weizsäcker-Kommission anschließen, die Politischen Grundsätze im Sinne einer Vereinfachung zu verändern. Dies gilt auch für die Ausnahmeregelungen, die die Weizsäcker-Kommission generell der Genehmigung von Ausfuhren von „schwimmendem Gerät“ zuteil werden lassen will. Ohne sich noch einmal mit dem stereotypen Argument auseinander zu setzen, mit U-Booten könne man nicht auf Demonstranten schießen, berücksichtigt eine allgemeine Freistellung von Schiffslieferungen nicht die ökonomischen und sozialen Folgelasten, die maritime Aufrüstungs-Programme für viele Entwicklungsgesellschaften mit sich bringen. Nicht hinzunehmen ist ebenfalls die Anregung der Weizsäcker-Kommission, die Genehmigungsbehörde hätte ihrerseits dringende Einwände, die zudem gravierend sein müssen, zu begründen, da die bisherige Erfahrung zeigt, wie schwer sich deutsche Behörden immer wieder mit solchem Ansinnen getan haben. 

  •  
  • e) Die Fachgruppe Rüstungsexporte schließt sich der Empfehlung der Weizsäcker-Kommission an, ABC-Schutzgeräte nur an solche Staaten zu liefern, die den entsprechenden internationalen Verträgen beigetreten sind. Wäre sie befolgt worden, hätte die Bundesregierung nicht die Lieferung von ABC-Spürpanzern an die Vereinigten Arabischen Emirate genehmigen dürfen. Diese gehören nicht zu den Unterzeichnern von ABC-Waffen-Kontrollregimen. 

  •  
  • f) Die abschließende Warnung im Bericht der Weizsäcker-Kommission, nationale Sonderpositionen dürften der favorisierten Europäisierung der Rüstungsprogramme nicht entgegenstehen, darf nach Ansicht der Fachgruppe Rüstungsexporte nicht dazu führen, dass unter dem Vorzeichen einer propagierten „Normalität“ die historisch gewachsenen und gesellschaftlich akzeptierten Vorbehalte gegen deutsche Rüstungslieferungen ins Ausland beseitigt werden. Vielmehr wäre im Aushandeln einer gemeinsamen europäischen Rüstungsexportpolitik auf diese Eigenheiten ebenso Rücksicht zu nehmen wie auf Interessen, die die Regierungen anderer Staaten artikulieren. Denn es stellt sich die Frage, ob die hier verdeckt kritisierte bisherige Zurückhaltung nicht ein essentielles Merkmal deutscher Außen- und Friedenspolitik ist und damit deren „Normalität“ ausmacht.


Mit dem Bericht der Weizsäcker-Kommission und dem Rahmenkonzept „Die Bundeswehr sicher ins 21. Jahrhundert – Eckpfeiler für eine Erneuerung von Grund auf', das der Bundesverteidigungsminister vorgelegt hat und von der Regierung gebilligt worden ist, hat die anstehende Reform der Bundeswehr deutlichere Kontur angenommen. Von der praktischen Umsetzung wird auch die deutsche Rüstungsexportpolitik nicht unberührt bleiben. Für die Fachgruppe Rüstungsexporte stellt sich von daher die Aufgabe, auch in Zukunft politische wie praktische Weichenstellungen zu beobachten und unter ihren Kriterien kritisch zu beurteilen. Nach dem jetzigen Stand der Dinge besteht zumindest kein Anlass zur Beruhigung.

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