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Pressemeldungen

Stuttgarter Nachrichten, 31. Januar 2004

Land setzt sich für Härtefallregelung ein

Flüchtlinge, die viele Jahre hier leben, sollen nicht mehr abgeschoben werden

Stuttgart - Die umstrittene Abschiebung von Asylbewerbern, die seit vielen Jahren in Baden-Württemberg leben, sorgt nun auch für Ärger innerhalb der CDU-FDP-Landesregierung.

VON FRANK KRAUSE

So schnell kann's gehen. Jahrelang galt Baden-Württemberg als Vorbild, weil kein anderes Bundesland abgelehnte Asylbewerber so konsequent abgeschoben hat, nun aber wird das dafür gelobte Innenministerium von allen Seiten bedrängt. Auslöser ist der Fall einer vietnamesischen Familie aus Königsfeld. Der 19-jährige Thi und ihr 17-jähriger Bruder Duc waren im Oktober 2003 mit den Eltern nach Hanoi abgeschoben worden. Thi lebte seit ihrem siebten Geburtstag in Deutschland. Demnächst sollte sie Abitur machen, ihr Bruder wollte die Realschule beenden. Trotzdem kam's zur Abschiebung. Der Fall erregte die Gemüter und rief selbst Ministerpräsident Teufel auf den Plan. Königsfeld liegt in seinem Wahlkreis Villingen-Schwenningen. Inzwischen wurde das Regierungspräsidium Freiburg angewiesen, die Wiedereinreise zuzulassen. Bedingung: Ausreise nach dem Schulabschluss.

Was Teufel und Schäuble mit ihrem Entgegenkommen nicht ahnten, ist nun eingetreten. Der Fall findet Nachahmer. "Bei mir stapeln sich die Bittbriefe", sagt der Innenminister. Aus allen Ecken des Landes melden sich Arbeitskreise, Abgeordnete und Kirchen, um das Schicksal von Einzelfällen zu schildern. Dabei werden oft Arbeitsplatzargumente als Begründung gegen die Abschiebung angeführt. Schäuble kann das verstehen, sagt aber: "Es ist keine Dauerlösung, dass der Aufenthalt eines Arbeitnehmers davon abhängt, ob ihn sein Chef gerade braucht oder nicht." Es gelte aber, für besondere Anlässe - so genannte "Härtefälle" - bundesweit und grundsätzlich eine Regelung zu finden. Schäuble sagte unserer Zeitung: "Ich würde mir eine Härtefallregelung wünschen. Dafür setze ich mich auf Bundesebene in der Arbeitsgruppe Zuwanderung ein."

Profitieren würden die so genannte Altfälle. Menschen also, die seit vielen Jahren ohne festes Aufenthaltsrecht hier leben, deren Asylverfahren sich lange hingezogen haben, die meist integriert sind und Deutsch sprechen, die angesichts der ungeklärten Rechtslage auf Bundesebene aber täglich mit ihrer Abschiebung rechnen müssen.

Wozu das führt, sieht man auch in Weinstadt. Dort lebt seit zwölf Jahren eine kongolesische Familie, deren Duldungsfrist Ende April abläuft. Kommune und Kirche setzen sich für ihr Bleiben ein, verweisen auf die Arbeitsstellen der Eltern und des Sohnes, sammelten über 3000 Unterschriften: gegen die Abschiebung, schalteten den Petitionsausschuss des Landtags ein, legten beim Bundesinnenministerium ein Gnadengesuch vor und drohen, notfalls die Polizei bei der Abschiebung zu behindern.

Der FDP-Landtagsabgeordnete Horst Glück warnt den Koalitionspartner inzwischen, die Lage eskalieren zu lassen. Natürlich müssten Menschen abgeschoben werden, wenn "die Vorausssetzung für Asyl nicht gegeben ist". Natürlich dürfe mit Asylbewerbern, "die ihre Identität verschleiern, nicht lange gefackelt werden". Aber, so Glück: "Vollintegrierte Familien mit Arbeit sollten nicht abgeschoben werden. Das ist unmenschlich." Am Freitag hat Schäuble nun einen Brief an Weinstadts OB .Jürgen Oswald geschrieben: "Vor dem Hintergrund der schwierigen Gesamtsituation kann ich Ihnen mitteilen, dass eine Abschiebung der Familie M. kurzfristig nicht ansteht." Möglicherweise werde ja demnächst vom Gesetzgeber eine "Art von Härtefallregelung" beschlossen. Ab welcher Aufenthaltsdauer ein Härtefall vorliegt, ist zwischen Bund und Ländern aber noch umstritten.


INTERVIEW

Thomas Schäuble, Baden-Württembergs Innenminister verteidigt die Abschiebepraxis des Landes. Zugleich sieht der CDU-Politiker mit der Osterweiterung und den Asylplänen der EU neue Probleme auf Deutschland zukommen.

"Wir brauchen keine weitere Zuwanderung"

Herr Minister, die Asyl-Zahlen im Land sind auf den niedrigsten Stand seit fast 20 Jahren gefallen. Problem gelöst?

Gelöst nicht, aber die Lage hat sich seit dem 1992 ausgehandelten Asylkompromiss Jahr für Jahr immer mehr entspannt. Hoffen wir, dass es so bleibt.

Warum schiebt das Land dennoch weiterhin auch Flüchtlinge ab, die hier integriert sind und Arbeit haben? Könnte man da jetzt nicht großzügiger sein?

Erstens: Wir sind nach wie vor gezwungen, geltendes Recht anzuwenden. Zweitens: Würden wir nun plötzlich Asylbewerber "großzügiger" behandeln, wäre das eine nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung gegenüber jenen, die in den vergangenen Jahren freiwillig gegangen sind oder abgeschoben wurden. Und drittens: Schon in der Vergangenheit haben sich die Regierungspräsidien bemüht, bei menschlich schwierig gelagerten Fällen erträgliche Lösungen zu finden. Kompromisse gibt es nicht erst seit heute.

Sie verlängern Fristen. Aber auf Dauer dürfen selbst wichtige Arbeitskräfte nicht bleiben. Zugleich wird auf Bundesebene um ein Zuwanderungsgesetz gerungen. Ist das kein Widerspruch?

Ich bin ja in dieser Arbeitsgruppe Zuwanderung auf Bundesebene dabei. Und mittlerweile sagen dort alle, dass wir die Zuwanderung angesichts der hohen Arbeitslosenzahl strenger regeln müssen als ursprünglich geplant.

Das bringt einem Handwerksbetrieb nichts, dem Sie einen seiner wichtigsten Mitarbeiter abschieben.

Menschlich kann ich den Ärger darüber verstehen. Aber der eigentliche Skandal liegt doch darin, dass trotz Millionen von Arbeitslosen unsere Gastwirte und Handwerke für ungeliebte Arbeit kaum jemanden bekommen.

Und wie löst man dieses Problem?

Indem man die Zumutbarkeitsschwelle für die Arbeitslosen herunterfährt. Mit den Hartz-Reformen wurde dieser Weg ja auch eingeschlagen.

Wie stehen die Chancen, dass es zu einem Zuwanderungsgesetz kommt?

Die Themenfelder Härtefälle, nicht staatliche Verfolgung und Integration bekämen wir geregelt. Woran es noch scheitern könnte, ist das Problem der Arbeitszuwanderung.

Wo hakt es da genau?

Zwischen Innenminister Otto Schily (SPD) und der Union geht es beispielsweise um die Frage, ob Zuwanderer auch ohne konkreten Nachweis eines Arbeitsplatzes kommen können und welche beruflichen Qualifikationen sie haben müssen. Schily reicht als Voraussetzung eine dreijährige Ausbildung. Uns ist das zu wenig, weil wir nur die Hochqualifizierten hier haben wollen. Darüber wird noch verhandelt, wobei sich Schily natürlich auch noch mit den Grünen einig werden muss.

Die EU-Innenminister arbeiten an einer Harmonisierung des europäischen Asylrechts. Wie bewerten Sie die Pläne?

Die machen uns große Sorge. Die Mehrheit der EU-Innenminister wollen deutlich großzügigere Regelungen, als wir sie in Deutschland haben. Sie stellt zum Beispiel die Drittstaatenregelung in Frage. Das halte ich für absurd. Das ist ein wesentlicher Baustein des deutschen Asylrechts, und wir wollen nicht, dass sich die erfreuliche Entwicklung der vergangenen Jahre wieder in ihr Gegenteil verkehrt. Bisher wahrt Schily die deutschen Interessen. Aber er steht auf EU-Ebene relativ alleine da.

Was kommt auf Baden-Württemberg mit der EU-Osterweiterung im Mai zu?

Die Menschen aus den zehn Beitrittsstaaten dürfen ja - nach einer gewissen Übergangsfrist - zu uns kommen. Voraussichtlich werden dann sehr viele Menschen auf unseren Arbeitsmarkt strömen. Da kommt schon eine weitere Herausforderung auf uns zu. Und gerade vor diesem Hintergrund brauchen wir kein Gesetz, dass über Europa hinaus noch mehr Zuwanderung zulässt.

Fragen von Rainer Wehaus


Lesen Sie dazu die Meldung in der Südwestpresse/Schwäbisches Tagblatt vom 28. 1. 2004

Die längst notwendige Härtefallregelung wäre auch die Rettung für die von der Abschiebung bedrohte Familie Dumancic in Tübingen !

 

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