Schwäbisches
Tagblatt, 10. Dezember 2005, S. 27
Hoffen auf
menschliche Lösung
Stadt Tübingen
setzt sich für vietnamesische Familie Tran ein / Kirchenasyl derzeit
kein Thema
Von Christiane Hoyer
TÜBINGEN. Mit Unverständnis
und Betroffenheit reagieren Abgeordnete, Bürgermeister und Kirchen
auf die Entscheidung der Härtefallkommission in Stuttgart. Die sieht
keinen Grund, warum die vietnamesische Familie Tran aus Tübingen
nach 13 Jahren in Deutschland weiterhin hier bleiben soll, und lehnte
vor einer Woche ihren Antrag ab.
Dass die Kommission mit dem
ehemaligen Reutlinger Landrat Edgar Wais an der Spitze ihre Entscheidung
nicht begründet und "nicht transparent" macht, kritisieren
die Tübinger Landtagsabgeordneten Boris Palmer (Grüne) und Rita
Haller-Haid (SPD). Die Arbeit des Gremiums müsse "für die
Menschen nachvollziehbar sein", sagt Palmer. Haller-Haid geht in
ihrer Kritik noch ein Stück weiter: "Wenn nicht einmal so ein
Fall, der die Unterstützung von 5000 Tübinger Unterschriften
hinter sich weiß, vor der Kommission Bestand hat, welche Hoffnung
sollen dann andere Familien noch haben?", fragt die Abgeordnete Rita
Haller-Haid.
"Die Hoffnung stirbt zuletzt",
sagt Tübingens Erster Bürgermeister Gerd Weimer. Seine Hoffnung,
dass die Innenministerkonferenz eine großzügige Altfall-Regelung
für Flüchtlinge findet, die wie die Trans hier integriert sind,
zerschlug sich gestern allerdings: Der Vorschlag des hessischen Innenministers
Volker Bouffier (CDU), den geduldeten Flüchtlingen, die eine Arbeitsstelle
haben, ein Bleiberecht einzuräumen, fand keine Mehrheit. Stattdessen
sollen jetzt erst einmal in einer Arbeitsgruppe die Auswirkungen des neuen
Zuwanderungsgesetzes ausgewertet werden.
Auf eine bundespolitische Entscheidung
also kann die Familie Tran vorerst nicht hoffen. Dabei hat gerade der
Vater, Van Vu Tran, jene für Flüchtlinge hohen Auflagen erfüllt,
die wichtige Voraussetzungen für eine Aufenthaltserlaubnis sind:
Er hat jetzt seit einem Jahr eine feste Arbeitsstelle, seit Sommer ist
er außerdem auf keinerlei staatliche finanzielle Unterstützung
mehr angewiesen.
"Wir haben als Stadtverwaltung
alles getan", sagt Gerd Weimer. Die Oberbürgermeisterin Birgitte
Russ-Scherer habe in einem sechs Seiten langen Brief an die Härtefallkommission
ausführlich zugunsten der Familie Tran Stellung genommen. Die Ablehnung
könne man im Rathaus "überhaupt nicht verstehen".
Weimer selbst möchte sich nun für eine "vernünftige
und großzügige Lösung" beim Regierungspräsidium
einsetzen. Die beiden zwölf und 13 Jahre alten Mädchen sollten
möglichst ihr Schuljahr an der Albert-Schweitzer-Realschule beenden
können.
Doch welchen rechtlichen Spielraum
gibt es jetzt noch nach dem Ablehnungsbescheid der Kommission? Rechtsanwalt
Reinhard Treimer hat gestern bei der Stadt Tübingen die Erteilung
einer Aufenthaltserlaubnis für Trans "aus humanitären Gründen"
beantragt und gleichzeitig beim Verwaltungsgericht Sigmaringen einstweiligen
Rechtsschutz für die Eltern mit den drei Kindern (der Sohn ist vier
Jahre alt) eingereicht. Solange diese Entscheidung ausstehe, dürften
Trans auch nicht abgeschoben werden, macht Treimer klar. Dass sie mit
ihren "Integrationsleistungen", so Treimer, keine Chance vor
der Härtefallkornmission hatten, kann auch Rottenburgs Oberbürgermeister
Klaus Tappeser nicht verstehen.
Tappeser, der im Frühjahr
2006 für die CDU in den Landtag ziehen will, sagt: "Die Integration
ist ein entscheidender Eckstein fürs Bleiberecht". So gesehen
sei der Fall Tran geradezu prädestiniert für die Kommission.
Doch welche Möglichkeiten bleiben der Familie Tran jetzt noch? Die
freiwillige Ausreise in einem "verträglichen Zeitraum",
wie Weimer sagt, wäre die eine. Eine andere wird von kirchlichen
Flüchtlings-Unterstützerkreisen in Tübingen derzeit zwar
diskutiert, aber noch nicht in Betracht gezogen: Ein Kirchenasyl als letzte
Möglichkeit. Auch der Fall der kurdischen Familie Güler schien
aussichtslos zu sein, als sie im August 2000 ins Mesnerhaus der Martinskirche
zog. Inzwischen hat die gesamte Familie einen dauerhaften Aufenthaltsstatus.
Doch die evangelische Dekanin
Marie-Luise Kling-de Lazzer hält nichts davon, den einen mit dem
anderen Fall zu vergleichen. Sie sieht "bis jetzt keine Anzeichen
für ein neues Kirchenasyl" in Tübingen, will sich aber
für "menschenwürdige Hilfestellungen" einsetzen. Ihr
katholischer Kollege, Dekan Thomas Steiger, hält das Kirchenasyl
dann für ein "scharfes Instrument gegenüber staatlichen
Bestimmungen", wenn für die Familie in ihrer Heimat "Gefahr
für Leib und Leben" bestehe.
Unterstützer der Familie
Tran berichten: "Die Mädchen weinen und stehen unter Schock."
Vietnam sei für sie ein fremdes Land, da sie in Deutschland aufgewachsen
sind, eine "Rückreise" ende in einer "absehbaren menschlichen
Katastrophe".
Dass
die Härtefallkommission den Fall Tran als Härtefall
abgelehnt hat, ist ein Fall für die Härtefallkommission.
Rottenburgs
Oberbürgermeister Klaus Tappeser über die
Entscheidung gegen die vietnamesische Familie Tran aus Tübingen
S.
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WORT ZUM SONNTAG
Gegenlichter
Er hatte schon gute Ideen:
1833 gründete Johann Hinrich Wichern in Hamburg das "Rauhe Haus"
für obdachlose Kinder und Jugendliche, und sechs Jahre später
ließ er im dortigen Betsaal einen runden hölzernen Leuchter
aufhängen: den ersten Adventskranz der Welt.
Mit vier dicken weißen
Kerzen (und dazwischen 19 kleinen roten für die Werktage) sollte
er den Kindern nicht nur das Warten aufs Fest erleichtern, sondern sie
zugleich spüren lassen, was es auf sich hat mit dem Fest. Zur echten
Erfahrung sollte ihnen werden, wie es im Advent von Tag zu Tag, von Woche
zu Woche heller und wärmer wird, obwohl die Tage draußen immer
noch kürzer, dunkler und kälter werden. Adventskerzen sind nicht
einfach nur Lichter, sondern ganz bewusste Gegenlichter, die der sich
ausbreitenden Finsternis und Kälte das Feld streitig machen. Schaut,
sagen sie, täglich wird es heller auf dem Weg zum großen Licht
der Christnacht, das erst recht jeder Finsternis das Feld streitig macht.
Es sind nicht wenige Menschen,
die diese dem Advent von je her eigene Widerständigkeit heutzutage
wieder erfassen und zur Geltung bringen, indem sie die Adventszeit bewusst
als "andere Zeit" zu gestalten versuchen.
Zum Beispiel, indem sie sich
im allgemeinen Vorweihnachtstrubel fest vornehmen, hin und wieder innezuhalten,
um sich zu besinnen, auf andere Gedanken zu kommen. Das Gegenlicht wahrzunehmen,
das im Advent aufleuchtet und von Woche zu Woche etwas heller scheint,
so dass immer deutlicher wird: Die Wirklichkeit, so finster sie daherkommt,
ist nicht alles. Es ist Hoffnung. Begründete Hoffnung sogar, weil
Gott in die Welt gekommen ist in Jesus mit anderen Gedanken: Liebe, Versöhnung,
Vergebung; dass Hungernde satt werden, Kranke geheilt, Trauernde getröstet...
Die alte christliche Platte,
sagen Sie? Das stimmt, es ist schon eine Weile her, dass Gott damit in
die Welt gekommen ist, neu ist das alles nicht. Neu ist nur immer wieder,
dass sie ernst gemeint sind, diese Gedanken.
Als wirkliche Chance für
die Wirklichkeit, als echte Gegenlichter zur Orientierung, zum Darauf-Zugehen
und Sich-dran-Halten. Nicht nur im Advent, aber jeder Advent ruft's uns
neu ins Gedächtnis - ("Wachet auf, ruft uns die Stimme...")
Nicht von ungefähr beginnt deshalb in jedem Advent eine neue Aktion
von "Brot für die Welt" und "Adveniat" (damit
Hungernde satt werden...).
Und nicht von ungefähr
treten uns die Missstände und Schmerzpunkte unserer Zeit und Gesellschaft
im Advent besonders krass vor die Augen. Not schreit ja nicht nur zum
Himmel, sondern signalisiert auch uns: Hier ist Handlungsbedarf, persönlicher
und politischer. Etwa wenn im "Fall Tran" drei Tübinger
Kinder, die hier in Deutschland aufgewachsen und beheimatet sind, notfalls
gewaltsam in ein ihnen völlig fremdes Land verbracht werden sollen,
dessen Sprache und Kultur sie nicht kennen - und unsere "Härtefallkommission"
meint, das sei kein Härtefall.
Da sind wir schon gefragt,
ob unsere Adventskerzen im christlichen Ländle nur Kerzen sind oder
Gegenlichter der Hoffnung.
Ich wünsche
Ihnen einen gesegneten Dritten Advent auf dem Weg zum großen Licht.
Karl Theodor
Kleinknecht,
Pfarrer an der Stiftskirche Tübingen
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