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Schwäbisches
Tagblatt vom
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Gomaringen liegt nur wenige Minuten von Kusterdingen entfernt. Nach den Vorfällen in Kusterdingen hätte man vielleicht auch denken können, die Abschiebung der Familie Jashari sei ein unglücklicher Zufall gewesen. Wenn es nun auch zur Abschiebung der Familie Advijaj kommen sollte, wissen wir, dass diese Akte der Inhumanität System haben und mit Absicht vollzogen wurden. Solche Akte sind in sog. zivilisierten Ländern nicht mehr entschuldbar. Sie werden in Europa seit Tausenden von Jahren zur Barbarei gezählt. Für ein christlich regiertes Land wären sie eine Schande. Schwäbisches Tagblatt vom 15. Januar 2003: Mitten im Winter ins NichtsEiner fünfköpfigen Gomaringer Familie droht die Abschiebung nach BelgradVon Sabine Lohr GOMARINGEN (slo). Nur noch wenige Tage bleiben der Gomaringer Familie Advijaj, bis Samstag, 25. Januar, sollen sie die Bundesrepublik verlassen. Statt in den Kosovo, wo die Eltern Isem und Dzevahire geboren wurden, sollen sie nach Belgrad abgeschoben werden, weil sie dort einige Jahre gelebt haben. Nachdem die 14-jährige Tochter Elvira ihre Angst vor der Abschiebung in der Gomaringer Schloss-Schule kundgetan hat, lief dort gestern eine Unterstützungsaktion. Seit zehn Jahren sind Isem, Elvira, Elvir, Edvin und Dzevahire Advijaj in Deutschland, seit acht Jahren leben sie in Gomaringen. Die Eltern haben beide Arbeit, die Kinder besuchen die Schule. Bis Samstag nächster Woche sollen sie Deutschland verlassen und nach Jugoslawien ausreisen. Bild: Franke "Als wir erfahren haben,
dass unsere beste Freundin Elvira gehen muss, mussten wir weinen, weil
sie uns echt viel bedeutet", schreiben Elviras Mitschülerinnen
Pia Futter und Maria Beltrame in einem Brief an Landes-Sozialminister
Friedhelm Repnik. Und die beste Freundin der 14-Jährigen, Derya
Yörük, schreibt: "Ich würde alles dafür geben,
dass Elvira hier bleiben kann." Aber nicht nur Briefe wurden verschickt.
Die Lehrer der Schloss-Schule sammeln Unterschriften gegen die Abschiebung
und haben sich an den Petitionsausschuss des Landes gewandt, um die
drohende Ausweisung der Familie zu verhindern. Und die Schüler
haben in der ganzen Schule bekannt gemacht, worum es geht. "Zu
zweit oder zu dritt sind sie in alle Klassen gegangen", erzählt
ihre Lehrerin Waltraud Klett. Da erfuhren gestern die Schüler
und Lehrer, dass die Familie Advijaj seit acht fahren in Gomaringen
lebt, zwei Jahre zuvor waren sie wegen des Bürgerkriegs aus Belgrad
geflohen. Mutter und Vater sind im Kosovo geboren und gehören dort
der Ashkali-Minderheit an - sie haben ägyptische Vorfahren. Das
ist auch der Grund, weshalb die Familie nun statt in den Kosovo nach
Rest-Jugoslawien abgeschoben werden soll. "Es gibt ein Stillhalteabkommen,
das besagt, dass Minderheiten zur Zeit nicht in den Kosovo abgeschoben
werden dürfen", sagt der Anwalt der Advijajs Arnold Koschorrek. In Belgrad hat die Familie
aber weder eine Unterkunft noch ein Auskommen, ebenso wenig wie im Kosovo.
Und die drei Kinder - die 14-jährige Elvira, der zwölfjährige
Edvin und der zehnjährige Elvir - können kein Jugoslawisch.
Die Familie fürchtet zudem, dass sie ohnehin nicht lange in Belgrad
bleiben, sondern von dort in den Kosovo abgeschoben würde. Vor
allem die Kinder haben Angst. "Wir sind ja hier aufgewachsen, haben
unsere Freunde hier und besuchen die Schule", sagt Elvira. Ihr
jüngster Bruder Elvir geht in die vierte Klasse der Schloss-Schule,
Edvin besucht die Realschule Steinlach-Wiesaz -"und alle drei sind
gute Schüler", sagte Vater Isem stolz. Gleich nach der Ankunft in
Deutschland hatte die Familie einen Asylantrag gestellt, der abgelehnt
wurde. Auch ein zweiter Antrag wurde abschlägig beschieden. Im
September 2001 beantragte die Familie eine Aufenthaltsbefugnis, aber
auch die wurde abgelehnt. Begründung: Die Beschäftigungsdauer
von Isem Avdijaj betrage noch nicht ganz zwei Jahre. Inzwischen ist
Advijaj schon länger als zwei Jahre beschäftigt: bei der Gomaringer
Bäckerei Schmid. Außerdem arbeitet er noch in einer Metzinger
Gaststätte in der auch seine Frau beschäftigt ist. Schon einmal sollte die Familie
geschoben werden: "Man wollte uns ein paar Tage vor Weihnachten
um drei Uhr morgens abholen und nach Jugoslawien schicken", berichtet
Elvira. Landrat Albrecht Kroymann und Bürgermeister Manfred Schmiderer
intervenierten damals aber und erreichten, dass die Familie noch bleiben
durfte. Allerdings musste Isem Advijaj unterschreiben, dass er und seine
Familie freiwillig ausreisen. "Aber doch nicht mitten
im Winter", sagt Isem Advijaj. Er wisse auch überhaupt nicht,
wohin in Belgrad - und wovon er und seine Familie dort leben sollten.
Arnold Korroschek findet die Abschiebung auch deshalb unverständlich,
weil "man darüber diskutiert, Leute aus dem Ausland herzuholen,
um Arbeitskräfte zu haben und andererseits eine Familie wie die
Advijajs abschiebt". Die Mitschüler von Elvira
denken da weniger politisch, aber Verständnis haben auch sie nicht.
"Für Elvira und ihre Geschwister ist Deutschland ihre Heimat.
Bitte lasst sie doch hier", bittet Lia Kailer.
Die 14-jährige Elvira Advijaj beschreibt in ihrem Brief an Sozialminister Friedhelm Repnik neben ihrer Angst vor der Zukunft auch ihre Hilflosigkeit. |