Schwäbisches
Tagblatt vom 22. Januar 2003:
Kinder beteten
für die Avdijajs
Gomaringer gründeten
Bürgerinitiative / Familie bekam neue Duldung für einen Monat
Andreas Foitzik (rechts)
moderierte die Veranstaltung für die Gomaringer Familie Avdijaj
- und machte ihnen wenig Hoffnung, für immer in Deutschland bleiben
zu können. Isem und Elvira Avdijaj waren die Sorgen anzusehen.
Bild: Franke
GOMARINGEN (slo). Auch
wenn die Nachricht, dass die Familie Avdijaj nun vorerst in Gomaringen
bleiben darf, eine ganz gute war: Die Stimmung im Sportheim am Montagabend,
wo sich rund 50 Unterstützer der Familie zusammenfanden, war alles
andere als euphorisch. Man war sich einig, dass es noch viel zu tun
gebe - und gründete zunächst eine Bürgerinitiative.
"Elvira! Elvira!"
Die Freude war groß, als die Familie Avdijaj den Nebenraum des
Sportheims betrat. Aber sie hielt nicht lange an: Die Situation ist
für die Familie nach wie vor unsicher. "Es ist nur ein Aufschub",
sagte Andreas Foitzik von der Initiative gegen Fremdenhass, der die
Veranstaltung moderierte. Er machte auch den Unterschied zwischen einer
Abschiebung und einer freiwilligen Ausreise klar: "Wird die Familie
abgeschoben, darf sie nicht mehr herkommen, auch nicht zu Besuch."
Bei einer freiwilligen Ausreise dagegen sei eine Besuchsreise nach Deutschland
unter bestimmten Voraussetzungen durchaus möglich. Zudem könne
die Familie die Ausreise besser vorbereiten, etwa durch eine vorherige
Reise nach Serbien, um nach einer Unterkunft Ausschau zu halten.
Waltraud Klett, die Klassenlehrerin
der 14-jährigen Elvira Avdijaj, berichtete eindrücklich von
den bisherigen Aktionen wie Telefonaten, Gesprächen, Briefen, Unterschriftensammlungen
und den Anträgen an den Petitionsausschuss. Eltern, Lehrer und
Schüler hätten sich allesamt stark engagiert. Von der Resonanz
auf die vielen Briefe seien die Schüler aber enttäuscht: Kaum
einer der Angeschriebenen habe geantwortet. Am Montag meinten die Kinder,
es helfe nur noch beten. "Sie haben sich Bibeln besorgt und Psalmen
abgeschrieben", erzählte Klett.
Auch in der Realschule Steinlach/Viesaz,
in der der zwölfjährige Edvin die siebte Klasse besucht, und
in der Kirche wurden Unterschriften gesammelt. Und der Kirchengemeinderat
hat sich, wie Helmut Baumann erzählte, am Sonntagnachmittag zu
einer Sondersitzung getroffen und beraten. Auch über die Möglichkeit
des Kirchenasyls sei gesprochen worden, allerdings habe der Kirchengemeinderat
darüber noch keinen Beschluss gefasst. "Wir wollten noch Informationen
vom Oberkirchenrat und vom Diakonischen Werk dazu", sagte Baumann.
Über die Verfahrensweise
gab die SPD-Landtagsabgeordnete Rita Haller-Haid Auskunft. Zunächst
befasse sich der Petitionsausschuss mit der Angelegenheit, berichtete
sie, die selber Mitglied in diesem Ausschuss ist. "Wir haben dort
zusammen mit der FDP keine Mehrheit, uns fehlen immer zwei Stimmen."
Deshalb sei ihr besonders wichtig, Kontakt mit den CDU-Abgeordneten
aufzunehmen. Die nächste Sitzung des Ausschusses ist Mitte Februar,
danach tagt er Mitte März wieder. "Auf einer der beiden Sitzungen
ist der Fall auf der Tagesordnung", so Haller-Haid. Nach der Entscheidung
des Ausschusses werde der Beschluss formell im Landtag behandelt, danach
umgesetzt.
Bis es soweit ist, bekommt
die Familie eine neue Duldung. Isem Avdijaj hat, wie er dem TAGBLATT
berichtete, den entsprechenden Bescheid gestern bekommen und holt das
Papier heute ab. "Dann kann ich wieder arbeiten", freute er
sich. Die Duldung ist für einen Monat gültig.
Andreas Foitzik argumentierte
mit den Menschenrechten: "Wie können Kinder abgeschoben werden,
die die Sprache dort gar nicht beherrschen? In ein Land, in dem ihnen
das Recht auf eine Schulbildung verwehrt wird?" Und als "irrsinnig"
bezeichnete er es, dass die pflegebedürftige Mutter von Isem Avdijaj
ohne die Familie hier bleiben werde.
Rita Haller-Haid erläuterte
das Problem: .,Die Mutter hat keine Chance auf Asyl, denn das wird nur
gewährt, wenn jemand politisch verfolgt wird. Allerdings ist die
Frage, ob die Frau reisefähig ist. Ist sie das nicht, kann sie
auch nicht ausreisen. Ist ihre Familie dann aber nicht mehr da, bekommt
sie Sozialhilfe - und das ist ein Abschiebegrund."
Ein Teilnehmer wollte wissen,
was in Belgrad auf die Familie zukomme. "Werden sie unterstützt?
Bekommen sie eine Wohnung?" Haller-Haid berichtete, dass es Rückkehrvereinbarungen
gebe. Die Einhaltung dieser Vereinbarungen, die Hilfe für die Rückkehrer
beinhalten, bezweifelte der Frager allerdings: "Staatlicherseits
passiert da offenbar gar nichts."
Schulsozialarbeiter Stefan
Steck bezeichnete es als "harte Strafe für die Kinder",
nach Serbien ziehen zu müssen. Und Haller-Haid argumentierte politisch:
"Ich halte es für total falsch, integrierte Familien zurückzuschicken"
und bekam dafür viel Beifall.
Als Foitzik am Ende fragte,
wer von den Anwesenden denn bereit sei, sich in einer Initiative weiterhin
für die Familie einzusetzen, hoben sich fast alle Hände. Und
auch das Spendenkörbchen füllte sich rasch. Mit dem Geld sollen
das Anwaltshonorar und sonstige Ausgaben finanziert werden.
INFO: Die Bürgerinitiative
für die Avdijajs trifft sich wieder am Montag. 27. Januar, um 20
Uhr im Sportheim Gomaringen.
Winterpause
bei Abschiebungen
GOMARINGEN (slo). Die Innenministerkonferenz
der Länder (IMK) beschäftigte sich am 6. Dezember in Bremen
mit der Problematik der Rückführung von Minderheiten in das
Kosovo. Sie appellierte an die Betroffenen, freiwillig zurückzukehren.
In den Beschlüssen ist jedoch von der Rückführung nach
Serbien und Montenegro keine Rede. Allerdings gab es laut Grit Puchan,
Sprecherin des Regierungspräsidiums Tübingen, einen "informellen
Beschluss" bei einem "Kamingespräch" der Innenminister
im Anschluss an die Bremer Konferenz. Demnach sollen in den Wintermonaten
keine Roma- und Ashkali-Familien mit minderjährigen Kindern nach
Serbien und Montenegro abgeschoben werden. Der Sprecher des baden-württembergischen
Innenministeriums, Dieter Wiesinger, bestätigte dies: Es handle
sich um eine Empfehlung der Innenminister. Von dieser bekam das Regierungspräsidium
Tübingen erst am Freitag, 17. Januar, Kenntnis - also sechs Wochen
nach der Innenminister-Konferenz. Der erste Versuch, die Familie Avdijaj
abzuschieben, war am 10. Dezember.
Weitere
Texte zur Kusterdinger und Gomaringer Weihnachtsabschiebung im Schwäbischen
Tagblatt 23. Januar.
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