Weihnachten 2002
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Adeste
fideles?
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Schwäbisches
Tagblatt vom
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Am 24. 12. 2002 standen zum Thema "weihnachtliche Abschiebung der Jasharis" folgende Texte im Schwäbischen Tagblatt : Ein Paket mit warmen SachenGestörter Weihnachtsfriede in Kusterdingen: Solidarität mit der abgeschobenen Familie JashariVon Ulrike Pfeil KUSTERDINGEN. Die Beschwörung des Weihnachtsfriedens fällt in Kusterdingen dieses Jahr besonders schwer: Die herzlose Art, in der die fünfköpfige Familie lashari in der Nacht zum vergangenen Mittwoch in den Kosovo abgeschoben wurde (wir berichteten), hat die Schul- und Kindergartenkameraden der Kinder schockiert, und sie treibt den zahlreichen Freunden und Bekannten der Familie im Ort Tränen des Zorns in die Augen. Die Evangelische Kirchengemeinde und Bürgermeister Jürgen Soltau haben sich dem Protest angeschlossen. (Siehe auch unten "Großes Entsetzen" und "Leserbriefe") Die Kinder aus der Klasse
3a der August-Lämmle-Schule reden noch immer davon: Wie sie am
Mittwoch alle zusammen mit ihrer Lehrerin Renate Held zu einem Theater-Ausflug
ins LTT aufbrachen, und wie plötzlich eine Karte übrig war.
Bahrie Jashari fehlte. Aber sie war nicht krank. Sie war in der Nacht
völlig überraschend zusammen mit ihren Eltern, ihrer fünfjährigen
Schwester Besarta und dem knapp drei Monate alten Baby Flora von der
Polizei abgeholt und mit dem Flugzeug nach Pristina verbracht worden.
Vor der Wohnungstür der Familie in der Lustnauer Straße fanden
Freunde noch Schuhe der Kinder; alles ist dort so, als wären die
Jasharis nur kurz aus dem Haus gegangen. Was die Abschiebebehörde,
die Reutlinger Bezirksstelle für Asyl, offenbar unterschätzte:
Die Jasharis waren nach fast zehn Jahren in Kusterdingen ausgezeichnet
integriert. Von Pristina aus nahmen sie sofort telefonisch Kontakt mit
ihren Bekannten auf. Etliche haben seither mit ihnen gesprochen; das
halbe Dorf weiß, dass die Familie beim Großvater auf engstem
Raum in einem Rohbau ohne Heizung notdürftig untergekommen ist,
dass die beiden größeren Mädchen sich sofort schwer
erkältet haben und dass "Bahrie den ganzen Tag weint".
"Dass eine solche Traumatisierung von Kindern in Kauf genommen
wird", sagt Christiane Bonnet-Baumgärtner, eine gute Bekannte
der Mutter Fikrije Jashari, "das empört mich am meisten."
Sie fühlt sich selbst von den Behörden ausgetrickst. Die Familie
habe sich gerade noch darüber gefreut, dass sie vom Landratsamt
statt der üblichen einmonatigen Duldung eine bis März 2003
bekommen hatte. Schließlich hatten die Jasharis bereits schriftlich
in eine freiwillige Rückkehr eingewilligt. "Aber sie wollten
sich und vor allem die Kinder gut darauf vorbereiten, darauf legte Fikrije
Wert." Holger Rothbauer, der Tübinger
Rechtsanwalt der Jasharis, hat noch nie erlebt, dass eine Abschiebung
mit einem so kleinen Säugling vollzogen wurde. Wohl wurden Ausweisungsverfügungen
für die in Deutschland geborenen Kinder am 9. Dezember zugestellt,
sie waren aber laut Rothbauer "noch nicht rechtskräftig".
So kurz vor Weihnachten sei mit einer Abschiebung überhaupt nicht
zu rechnen gewesen. Kurz vor der allgemeinen Abschiebepause vom 20.
Dezember bis 6. Januar griff die Behörde dann doch durch. Für
Rothbauer resultiert diese "härtere Gangart" aus dem
Druck, den das Innenministerium auf die Asyl-Bezirksstellen ausübe.
"Reutlingen war da noch Schlusslicht." Rothbauer wird nun auf jeden
Fall gegen die Abschiebung klagen. Wenn das Verwaltungsgericht feststellt,
dass die Abschiebung unrechtmäßig war, könnten die Jasharis
"theoretisch" zurückkommen. Ausschlaggebend dafür
sind aber nicht so sehr die Umstände der Abschiebung, sondern die
Schwere der Folgen. Fritz Mybes, Ruhestandspfarrer
in Kusterdingen, und seine Frau Klara verstanden sich "Ersatz-Großeltern"
der Kinder. "Fleißige Leute, die keinem auf der Tasche lagen",
seien Vater Naim und Fikrije Jashari. Er hatte Arbeit in der örtlichen
Firma für Lackiergeräte, sie half in der Küche des Bauerncafés
"Im Höfle". Mybes sieht durch die Abschiebung das christliche
Selbstverständnis herausgefordert. Da tat es ihm gut, dass Ortspfarrer
Martin Winter am vierten Advent im Gottesdienst darauf hinwies, "dass
das die Gemeinde angeht". Auch die politische Gemeinde
müsse "zeigen, dass uns das nicht gleichgültig ist",
findet Bürgermeister Jürgen Soltau. Er ist "persönlich
darüber erschüttert, wie es hier zugeht", und will nun
vom Regierungspräsidium wissen, ob diese Härte nicht vermeidbar
gewesen wäre. Unterdessen laufen erste
Solidaritätsaktionen an: Eine Bekannte der Familie hat ein Paket
mit warmen Sachen abgeschickt. Gestern Abend wurde auf einer Versammlung
über weitere konkrete Hilfsmöglichkeiten nachgedacht. "Wir
wollen auch `rüberbringen, dass wir sie nicht vergessen haben",
sagt Thomas Ellinger, der in seinem Garten oft mit den Jasharis zusammengesessen
ist. Einen gebrauchten VW-Bus suchen, um den Hausrat in den Kosovo zu
bringen, Geld sammeln, den Kindern ihre Puppen und Teddies schicken
-"wir haben viele Ideen", sagt Ellinger. "Aber das Beste
wäre, sie könnten zurück." Spendenkonto Nummer 260 30 96 bei der Kreissparkasse Tübingen (BLZ 641 500 20), Stichwort "Familie Jashari". Dokument der Sehnsucht: Gestern erreichte Freunde der Familie Jashari in Kusterdingen dieses handgeschriebene Fax aus dem Kosovo. Großes EntsetzenKirchengemeinde protestiert
bei Schäuble
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