Schwäbisches
Tagblatt vom 7. Januar 2003:
Die Kreisecke
Für
Menschenrechte
"Was werden Sie, Herr
Landrat, unternehmen, damit derartige Menschenrecht verletzende Maßnahmen
in unserem Landkreis unterbleiben, dass mit so schrecklichen Abschiebepraktiken
Schluss gemacht wird?" Diese und drei weitere Fragen habe ich zur
Abschiebung der Familie Jashari an Landrat Dr. Kroymann und die Kreisverwaltung
gerichtet. Auch, ob die Kreisverwaltung dazu bereit ist, die Forderungen
nach Rückholung der Ausgewiesenen mit konkreter Hilfe zu unterstützen.
Denn für dieses Vorgehen mit Brachialgewalt von Seiten der Abschiebebehörde
kann es keine Entschuldigung, kein Verstecken hinter "Recht und
Ordnung" geben.
Die große Solidarität
der Kusterdinger mit vielen Einwohnern unseres Landkreises (und darüber
hinaus) für die Familie Jashari klagt an: So eine Gewalt geht nicht
vom Volke aus! Deshalb auch darf sich niemand, ob bei Behörden
oder persönlich, hinter "Nichtzuständigkeiten" verstecken.
Mit der brutalen Abschiebung
der Familie Jashari in einer Nacht? und Nebelaktion wurden elementarste
Menschenrechte mit Füßen getreten. Und das in unserem einst
als liberal hoch gepriesenen Land, regiert von angeblichen Christdemokraten,
die stets eifrig die Einhaltung von Menschenrechten in anderen Ländern
lauthals fordern. Viele christlich und liberal eingestellte Mitmenschen
sind gegen solche behördlich angeordneten Zwangsmaßnahmen
mit Abschiebungen. Hier gegen eine Familie gerichtet, die im Stande
war, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.
In 50 Jahren Baden-Württemberg
muss von der Landesregierung gegenüber den Flüchtlingen eine
sozial verträgliche, humanere Haltung eingefordert werden. Dazu
gehört auch, dass endlich das Flüchtlingsghetto mit den menschenunwürdigen
Unterkünften in der Herrenberger Straße unserer preisgekrönten
Universitätsstadt Tübingen aufgelöst wird.
Krieg, Diktatur und Gewalt
sind stets die Hauptursachen dafür, dass wenige immer reicher und
die große Masse Mensch dabei immer ärmer wird. Wir Deutsche
wissen (oder sollten es wissen) es aus der eigenen Geschichte. Nicht
die davon Betroffenen gilt es zu bekämpfen, sondern die Verursacher
der Armut. Statt durch Kriege noch mehr zu zerstören, gibt es reichlich
zu tun, um Naturkatastrophen zu begegnen und deren Schäden zu beseitigen.
So leiden die Kommunen auch
im Landkreis Tübingen darunter, dass immer mehr Finanzen mit Auslands-
und Kriegseinsätzen verplempert werden. Wenn die Bush-Regierung
mit ihren Ölmultis gegen den tausendfachen Protest - auch in den
USA - die Völker des Irak mit Krieg bedroht, sind auch wir davon
betroffen. Achtung und Solidarität für diejenigen Streiter/innen
für eine Kultur des Friedens, die ohne Schonung der eigenen Person
gegen den Krieg in den Irak reisen.
Wir können uns noch
so sehr um das Wohlergehen von uns selbst und die Menschenrechte für
andere kümmern: Eine andere Welt ist nur möglich in Frieden
und sozialer Gerechtigkeit. In diesem Sinne wünsche ich allen friedensbewegten
Mitmenschen ein gutes Jahr!
Gerhard Bialas, Kreisrat
TÜL/PDS
Leserbriefe
Weitere
Reaktionen auf die Abschiebung der Famile Jashari.
»Polizeilogik«
Mascha Kaleko, geboren 1907
in Galicien als Tochter jüdischer Eltern, Lyrikerin in den dreißiger
Jahren in Berlin, emigrierte 1938 in die USA, starb 1975 in Zürich,
schrieb: Polizeilogik - Was verstehen Sie darunter? - Zum Beispiel Paragraphen,
so wie diesen: Wer keinen Ausweis hat, wird ausgewiesen.
Arthur Hogg, Rottenburg,
Friedlandstraße 33
»Noch einmal traumatisiert«
Inder Nacht zum 17. Dezember
um 2 Uhr morgens wurde die Familie Jashari in den Kosovo abgeschoben.
Ich habe oft mit Herrn Jashari über seinen Aufenthalt gesprochen.
Sehr groß war seine Enttäuschung letztes Jahr, als er so
knapp den Stichtag des so genannten Arbeitserlasses der Innenministerkonferenz
verfehlte (bei ihm fehlten nur drei Monate, um zwei Jahre am Stichtag
unabhängig von Sozialhilfe zu sein). Hier waren die Behörden
gnadenlos, obwohl Herr Jashari nachweisen konnte, dass er nie die Arbeitserlaubnis
für eine Vollzeitstellebekommen hatte. Durch meine Arbeit im Sozialdienst
weiß ich, dass andere Ausländerbehörden und Regierungspräsidien
in solchen Fällen großzügiger entschieden.
Für Herrn Jashari war
es nun klar, dass er ausreisen muss. Was er nie seiner Familie zumuten
wollte, war, abgeschoben zu werden. Aus diesem Grund hat er (so sagte
er es mir jedenfalls) gegenüber der Ausländerbehörde
unterschrieben, dass er eine freiwillige Ausreise mache.
Nur wollte er warten, bis
seine Frau das Kind geboren hatte. Herr Jashari wäre mit Sicherheit
in den nächsten Monaten ausgereist. Er hatte dieses Hin und Her
und diesen psychischen Druck, dem er ausgesetzt war, einfach satt. Umso
mehr schockierte es mich, unter welchen Umständen die Familie Jashari
nun das Land verlassen musste. Es ist diese unmenschliche Abschiebepraxis
unseres Landes, die gerade bei Familien wie den Jasharis wirklich unnötig
ist.
Es führt oft zu Missverständnissen,
wenn man Flüchtlingen Arbeitserlaubnisse erteilt, aber keine richtigen
Aufenthaltserlaubnisse. Die Familie hat drei Tage vor ihrer Abschiebung
noch einmal eine Verlängerung ihrer Duldung um drei Monate erhalten,
um dann drei Tage später mit einem martialisch aussehenden Aufgebot,
vermutlich bewaffnet mit Schlagstock (so ist die Praxis), von der Polizei
abgeholt zu werden. Es wird bewusst riskiert, dass die Menschen und
vor allem die Kinder noch einmal traumatisiert werden.
Ich wünsche mir, dass
die Behörden hinter dem Schreibtisch auch die Menschen sehen und
nicht nur den bloßen Vorgang. Bedauerlich ist, dass gerade Menschen,
die sehr gut integriert sind und wo die Gesellschaft schon einiges für
ihre Integration geleistet hat, so aus dem Land gejagt werden, dass
ihnen jegliche Chance auf eine Rückkehr verbaut wird. Die Familie
Jashari kann mit dem Stemper der Abschiebung auf Jahre hinaus nie wieder
in ein EU-Land einreisen. Auch nicht zu Besuch.
Jens Peter, Kusterdingen,
Kingenstraße 6
»Selbst zu verantworten«
Viele von uns macht es menschlich
betroffen, wenn eine Familie kurz vor Weihnachten in ihre Heimat abgeschoben
wird. Doch was ich in den Medienberichten bisher vermisse, ist die Tatsache,
dass diese Abschiebung nicht überraschend kam, sondern die Familie
diese selbst herausgefordert hat und täglich damit rechnen musste.
Dies war ihr auch bekannt.
Die Kosovoflüchtlinge
wissen seit Jahren, dass sie bei uns nur Gäste auf Zeit sind. In
den Kriegs- und Notzeiten hat die Bundesrepublik Deutschland hervorragende
menschliche Hilfe geleistet. Seit sich die Lage im Kosovo stabilisiert,
sind tausende Menschen freiwillig zurückgekehrt, um sich in ihrem
Geburtsland, ihrer Heimat, am Wiederaufbau zu beteiligen. Die deutschen
Behörden haben den Flüchtlingen viel Zeit gelassen, ihre Rückkehr
vorzubereiten. Es wurde nicht schematisch nach dem Gesetz die zwangsweise
Abschiebung verfügt, sondern jeder einzelnen Familie eine Rückkehrvereinbarung
angeboten, in der sie ihre Rückkehr organisatorisch und zeitlich
weitgehend frei gestalten konnte.
Denjenigen, die sich nicht
darauf einlassen wollten, stand unser Rechtsweg mit all seinen Instanzen
offen. Erst wenn der Weg über die Gerichte mit allen demokratischen
Regelungen unseres Rechtsstaats ausgeschöpft ist und sich die Familie
weiterhin gegen eine freiwillige Ausreise oder eine Rückkehrvereinbarung
sperrt, muss sie mit der Abschiebung rechnen. Diese kann dann allerdings
nur überraschend erfolgen, denn die Erfahrung zeigt leider, dass
sich Betroffene durch ein Untertauchen den Geboten unseres Rechtsstaats
entziehen.
Insofern gehe ich zwar damit
einig, dass eine zwangsweise Rückführung menschlich problematisch
ist. Die Betroffenen haben diese jedoch selbst zu verantworten, denn
unser demokratischer Rechtsstaat kann die uns wichtige demokratische
Freiheit dauerhaft nur gewährleisten, wenn alle die Gesetze respektieren,
die unsere mehrheitlich gewählten politischen Vertreter geschaffen
haben und die von einem hohen humanitären Niveau geprägt sind.
Dennoch freue ich mich sehr
über die menschliche Hilfe, die den zurückgekehrten Flüchtlingen
jetzt durch die Bevölkerung zuteil wird. Denn nicht das Lamentieren
über eine angebliche Härte des deutschen Rechts, sondern die
konkrete Unterstützung ist der richtige Weg, der Familie Jashari
einen Wiederanfang in ihrer Heimat zu ermöglichen.
Franz-Gerhard Pilz, Gönningen
Ein offener Brief an Ministerpräsident
Erwin Teufel zum Fall Jashari.
»Werte
wie Humanität«
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident,
ich bin erschüttert
und empört über die Abschiebung der in Kusterdingen lebenden
Familie Jashari in den Kosovo wenige Tage vor Weihnachten. Am meisten
empört mich die hier von einer Landesbehörde demonstrierte
Unmenschlichkeit und Unzuverlässigkeit. Wie soll man es anders
nennen, wenn trotz einer zuvor ausgesprochenen Duldung Menschen mit
kleinen Kindern in einer Nacht-und-Nebel-Aktion - warum eigentlich nachts,
bestand Fluchtgefahr? - abgeholt und ins Flugzeug in ein für die
Kinder fremdes Land gesetzt werden?
Als Lehrer für evangelische
Religion und Geschichte am Pfullinger Gymnasium ist es meine Aufgabe,
den Schülern Werte wie Humanität und Nächstenliebe zu
vermitteln und sie "zur Anerkennung der Wert- und Ordnungsvorstellungen
der freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu erziehen" (Schulgesetz
des Landes Baden-Württemberg § 1, Abs. 2). Ich nehme diesen
Auftrag ernst, stelle aber fest, dass das Land Baden-Württemberg
mit seiner Abschiebepraxis diese Ziele konterkariert.
Sie, Herr Ministerpräsident
und Landesvorsitzender einer sich als "christlich" verstehenden
Partei, haben in Ihrer Neujahrsansprache zu "Solidarität und
Mitmenschlichkeit" aufgerufen. Sie erklärten, dass den Unternehmen
des Landes geholfen werden müsse. Kürzlich im Wahlkampf beanspruchte
Ihre Partei, sich besonders für die Familien zu engagieren - nur
für deutsche?
Wie können wir Bürgerinnen
und Bürger solche hehren Worte noch ernst nehmen, wenn gleichzeitig
eine hier lebende und Steuern zahlende Familie über Nacht ihrer
mehrjährigen Heimat und eine Firma des Landes ihres Mitarbeiters
beraubt wird?
Ich bitte Sie, sich an die
von Ihnen selbst gesetzten Ansprüche zu erinnern und eine Rückkehr
der Familie Jashari nach Kusterdingen zu ermöglichen. Tun Sie damit
auch etwas für das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger
in diesen Staat!
Pfarrer Traugott Huppenbauer,
Sickenhausen, Tannhäuserstraße 13
Weitere
Texte zur Kusterdinger Weihnachtsabschiebung im Schwäbischen Tagblatt
vom 8.1.2003
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