Schwäbisches
Tagblatt vom 2. 1. 2003:
Übrigens
...
Wo das Recht
herkommt
Noch immer ist der Schock
nicht gewichen, den die Abschiebung der Jasharis in Kusterdingen hervorgerufen
hat. Noch immer drängt es viele Kusterdinger, ihrem Ärger
darüber Luft zu machen, auf welche Weise sie ihre Freunde, Kollegen
und Nachbarn verloren haben. So bruchlos war die fünfköpfige
Familie aus dem Kosovo ins Dorf integriert gewesen (siehe "Kusterdinger
protestierten mit Lichtern gegen Abschiebung" auf Seite 18).
Wie viel das der Familie
selbst abverlangt haben muss, weiß keiner, der es nicht erlebt
hat. Wenn sich über Jahre hinweg die Duldungen, also die Aussetzungen
der Abschiebungen, nur auf ein oder zwei Monate verlängern. Und
man mit dieser Duldung wieder ein, zwei Monate eine Arbeitserlaubnis
kriegen kann, um wieder für ein, zwei Monate Arbeit zu bekommen.
Brüchiger kann eine Existenz kaum sein. Aber die Jasharis haben
es geschafft, und das zehn Jahre lang.
Wäre in Deutschland die Asylstelle an den Kommunen angesiedelt,
dann hätten die Kusterdinger selbst darüber entscheiden können,
ob sie mit der Familie leben wollen oder nicht. So müssen die Bürger
auf den Härten mit den Füßen abstimmen.
Die Strategie, mitten in
der Nacht die Leute abzuholen, zielt darauf, zu verhindern, dass sie
untertauchen. "Gut"; könnte man einwenden, "hätten
sich die Jasharis an den vereinbarten Ausreisetermin gehalten und wären
einfach gegangen, dann wäre diese Situation nicht eingetreten."
Doch hatte der Tübinger Rechtsanwalt Holger Rothbauer noch Rechtsmittel
eingelegt, und solange die nicht ausgeschöpft sind, blieb der Familie
ein Hoffnungsschimmer. Dieser bewog sie, eben noch nicht die Koffer
zu packen.
Die Familie ist nun in Pristina.
Und die Frage wird laut, was man jetzt noch für die Jasharis mit
ihrem drei Monate alten Säugling tun kann?
Holger Rothbauer will gegen die Rechtmäßigkeit der Abschiebung
klagen, und er wird den Petitionsausschuss des Landtags bemühen.
Dieser formale Weg ist jedoch nicht sehr vielversprechend. Was aber
die Kusterdinger selbst tun, das kann den Jasharis helfen. Vielfach
wurde die Familie von Bürgern wieder ins Dorf schriftlich eingeladen.
Rothbauer hat schwarz auf weiß, dass einige sogar bereit wären,
den Flug zu zahlen.
Wenn die Kusterdinger (und
andere im Landkreis, die sich bereits unter anderem mit Leserbriefen
und in Unterschriftensammlungen zu Wort gemeldet haben) lange genug
hinstehen, dann müssen die Politiker darauf reagieren. Manche haben
das ja schon getan. Schließlich machen sie die Gesetze und sonst
niemand. Und wenn man feststellt, dass die Formaljuristerei denjenigen
nicht zu vermitteln ist, von denen das Recht ausgeht, den Bürgern
nämlich, dann muss man das ändern.
Ulrich Stolte
Kusterdinger
protestierten mit Lichtern gegen Abschiebung
An die 200 Menschen
haben am Silvesterabend mit Kerzen und Teelichtern am Brunnen in der
Kusterdinger Ortsmitte gegen die Abschiebung der Familie Jashari in
den Kosovo protestiert. Die fünfköpfige Familie, sagten die
Organisatoren des Protests, ist immer noch gesundheitlich angeschlagen,
vor allem die Mutter leide unter psychosomatischen Beschwerden. Inzwischen
sei das erste Kusterdinger Hilfspaket angekommen. Offizielle Reaktionen
hat die Bürgerinitiative noch nicht: "Im Innenministerium
sind sie erstaunt - die haben gedacht, das verläuft sich über
die Feiertage." Doch Bürgermeister Jürgen Soltau forderte
in seiner Ansprache: "Der Fall darf nicht einfach zu den Akten
gelegt werden." Und: "Wir haben die Hoffnung nicht aufgegeben,
dass die Jasharis nach Kusterdingen zurückkommen." Der evangelische
Pfarrer Martin Winter kritisierte die "unverhältnismäßige
Härte" der Abschiebung. Die Jasharis stehen stellvertretend
für viele." Auch der katholische Diakon Ulrich Wöhr rief
zur Solidarität mit der Familie auf und kritisierte die verantwortlichen
Behörden. "Weihnachten hat hier nicht stattgefunden."
Jürgen Fischer von der Bürgerinitiative sagte: "Wir möchten
erreichen, dass der gewaltsam unterbrochene Lebenskreislauf der Jasharis
wieder in geordnete Bahnen zurückkehrt" (siehe auch das ÜBRIGENS).
Bild: Mozer
Wir zitieren
aus:
Süddeutsche Zeitung
Wulf Reimer berichtete
am Samstag in der in München erscheinenden Zeitung über die
Abschiebung der Kusterdinger Familie Jashari.
"Asylpraxis
empört"
Aus Baden-Württemberg
sind in den ersten elf Monaten dieses Jahres 3687 Ausländer in
ihr Herkunftsland abgeschoben worden. Landesinnenminister Thomas Schäuble
(CDU) nimmt für sich und die CDU/FDP-Landesregierung in Anspruch,
das Ausländerrecht konsequent anzuwenden im Sinne einer harten
Asylpraxis. Nun aber haben die Behörden mit ihrem drakonischen
Vorgehen ein ganzes schwäbisches Dorf gegen sich aufgebracht (...)
Die Familie Jashari lebte
schon seit beinahe zehn Jahren in Kusterdingen und galt als integriert.
Der Vater Naim und die Mutter Fikrije verdienten den Lebensunterhalt
als Lackierer und Küchenhilfe in der Gemeinde nahe Tübingen.
Alle drei Kinder wurden dort geboren, das jüngste vor nicht einmal
drei Monaten (...)
Die öffentliche Erregung
über diese Nacht- und Nebelaktion, die auch den Anwalt der Familie
überrumpelte, schlägt sich nieder in einer Flut von Zuschriften
an das SCHWÄBISCHE TAGBLATT (...)
Weitere
Texte zur Kusterdinger Weihnachtsabschiebung im Schwäbischen Tagblatt
vom 3.1.2003
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