Südwestpresse/Schwäbisches
Tagblatt, 7. Februar 2003
KIRCHENASYL
TÜBINGEN Nach zweieinhalb
Jahren im Kirchenasyl in Tübingen darf die kurdische Familie Güler
jetzt legal in Deutschland bleiben. Damit geht ein langer Streit zwischen
Behörden und Kirchengemeinden zu Ende. Die Gülers leben mit
ihren drei Kindern seit August 2001 im Mesnerhaus der Gemeinde Sankt
Martin. Die Mutter ist einem psychiatrischem Gutachten zufolge "schwer
traumatisiert"; sie war in der Türkei gefoltert worden, berichtete
Pfarrer Helmut Zwangen Das hatten die Verwaltungsrichter zunächst
nicht geglaubt, sie lehnten die Asylanträge der Familie ab.
"Die Familie freut sich
riesig, dass die Zeit der Illegalität und der beengten Wohnverhältnisse
vorbei ist", sagte der Pfarrer. Jetzt wolle man eine Wohnung suchen.
lsw
Schwäbisches
Tagblatt vom 7. Februar
Übrigens
Das Ministerium
schlägt zurück
Die Welle der Solidarität
mit der kurz vor Weihnachten abgeschobenen Familie Jashari aus Kusterdingen
wogt weiter, aber auch andere Stimmen erheben sich. Damit sind nicht
die anonymen Briefe eines "Robin Hood" angeblich aus Nehren
gemeint, die den Leserbriefschreibern und Journalisten ins Haus flatterten.
Damit ist die höchste, nennen wir sie salopp "Abschiebestelle"
gemeint, das Innenministerium in Stuttgart.
Der Grüne Boris Palmer
hat als Landtagsabgeordneter seinen Einfluss in Stuttgart genutzt, um
beim Innenministerium nachzufragen: Wie konnte es zu dieser herzlosen
Abschiebung kurz vor Weihnachten kommen?
Jetzt liegt die Antwort des
Innenministeriums da - mit neuen Fakten: Die Familie Jashari habe in
Deutschland Straftaten begangen und sei verurteilt worden, "unter
anderem wegen mittelbarer Falschbeurkundung und Betrugs zu Geldstrafen
in Höhe von bis zu 70 Tagessätzen."
Der Familienvater hat wohl
versucht, unter falschem Namen ein zweites Asylverfahren anzustrengen,
glaubt das Ministerium. Der Freundeskreis sagt, Sprachunkenntnis und
ein Schreibfehler sei der Grund des Verfahrens gewesen (siehe auch Seite
27). Diese Verurteilung schließt nach Ansicht der Ministeriums
aus, dass die Jasharis in Deutschland bleiben können:" Von
einer Integration im Sinne der Bleiberechtsregelung kann vor diesem
Hintergrund keine Rede sein."
Eine Aufenthaltsbefugnis
wollte das Innenministerium auch deswegen nicht ausstellen, weil der
Familienvater erst seit 2000 eine feste Stelle gehabt habe, er hätte
sie aber zwei Jahre früher gebraucht, also 1998, stellt das Ministerium
fest.
Diese Informationen geben
dem Fall zunächst eine andere Wendung. Wer auf der formaljuristischen
Ebene stand, der wird sich hier noch mehr bestätigt fühlen.
Die Familie hätte ja nach Ablauf der Duldung im März 2002
über ein drei viertel Jahr Zeit gehabt, auszureisen und wäre
sie freiwillig gegangen, dann hätte man sie nicht in aller Herrgottsfrühe
aus den Zimmern gerissen, wie das Ministerium begründet: Das geschieht
natürlich nicht deswegen, weil das durch den "notwendigen
Verlauf der Vorbereitung bedingt ist"; wie in der Pressemitteilung
steht, der Hauptgrund ist vielmehr, dass die Abschiebebehörde morgens
um drei sicher sein kann, dass alle zu Hause sind.
Betroffen sind aber vor allem
die Kinder, die in Pristina schwer wieder Wurzeln schlagen werden, und
die auch nichts dafür können, sollte ihr Vater tatsächlich
die Gesetze unseres Landes verletzt haben. Die Traumatisierung, die
sie erlitten haben, die bleibt. Und deswegen bleibt die Betroffenheit
auch hier in Kusterdingen.
Ulrich Stolte
Politik
stellt Fragen
Die Parteien
unterstützen die Familie Jashari
KUSTERDINGEN
(us). Die Politik macht mobil in Sachen Jashari. Nachdem Boris Palmer
(Grüne) an das Innenministerium geschrieben hat (siehe das "Übrigens"
auf Seite 17), wandte sich Kreisrat Gerhard Bialas (PDS) an das Landratsamt
Tübingen und Rita Haller-Haid (SPD) an den Petitionsausschuss.
Der Anwalt der Kusterdinger Familie Jashari verwahrt sich gegen eine
"Diskriminierung".
Der Tübinger
Anwalt Holger Rothbauer kämpft gerade am Verwaltungsgericht Sigmaringen
um das Bleiberecht der Kinder. An der Frage, ob die drei hätten
ausgewiesen werden dürfen, ändere auch der "Versuch von
Innenminister Schäuble nichts, die Familie als Straftäter
zu diffamieren", so heißt es in der Pressemitteilung.
Die SPD-Landtagsabgeordnete
Rita Haller-Haid hat schon vorigen Freitag eine Petition an den Landtag
eingereicht, auf der auch die beiden Pfarrer von Kusterdingen und die
beiden Arbeitgeber des Ehepaars auftreten. Sie soll bewirken, dass die
Familie wieder nach Deutschland einreisen darf.
Kreisrat Gerhard
Bialas (PDS) stellte unterdessen schriftlich vier Fragen an das Tübinger
Landratsamt. Er wollte wissen, ob die Abschiebung bekannt gewesen sei,
ob es eine Stellungnahme gegeben habe, ob die Kreisverwaltung einer
Rückführung der Familie zustimme, ob der Landrat künftig
ähnliche Vorgänge verhindern wolle?
Das Landratsamt
antwortete inzwischen so: Es werde eine Rückführung der Jasharis
nicht unterstützen, weil die Familie nach "geltendem Recht
kein Aufenthaltsrecht" besitze. Das Landratsamt habe von der Abschiebung
ausnahmsweise gewusst, weil das Regierungspräsidium noch Informationen
benötigt habe. Auf die Frage nach einer Stellungnahme verweist
das Amt auf das Schreiben des Innenministeriums. Landrat Albrecht Kroymann
antwortete auf die letzte Frage, dass er seine Mitarbeiter angewiesen
habe, noch sorgfältiger bei der Verlängerung von Duldungen
auf die richtige Frist zu achten, "um Missverständnisse"
zu vermeiden. Außerdem werde er das Land bitten, "notwendige
Abschiebungen nicht mehr so kurz vor der Weihnachtszeit zu vollziehen."
Weitere
Texte zur Kusterdinger und Gomaringer Weihnachtsabschiebung im Schwäbischen
Tagblatt vom 8. Februar 2003
|