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Tagblatt vom 21. Januar 2003:
Bild: Rippmann
Schüler
der Gomaringer Schloss-Schule setzen sich für ihre Mitschülerin
Elvira Avdijaj und deren Familie ein. Die von Abschiebung bedrohte Familie
kann zumindest den Winter über in Deutschland bleiben.
Avdijajs
dürfen vorerst bleiben
Petitionsausschuss
prüft / Regierungspräsidium Tübingen setzt auf freiwillige
Ausreise
Von Sabine Lohr
GOMARINGEN.
Die von Abschiebung bedrohte Gomaringer Familie Avdijaj darf vorerst
in Gomaringen bleiben. Laut Grit Puchan, Sprecherin des Regierungspräsidiums,
hat der Petitionsausschuss darum gebeten, nichts zu unternehmen, bis
er entscheiden habe. Bis zum Frühling, so Puchan, werde eine solche
Entscheidung aber dauern.
Die vielen Briefe
an Abgeordnete aller Fraktionen und an diverse Minister, die Anträge
an den Petitionsausschuss und die öffentlich ausgedrückte
Empörung der Unterstützer der Gomaringer Familie Avdijaj haben
offenbar genützt: Der Petitionsausschuss des Landtags beschäftigt
sich nun mit dem Fall der fünfköpfigen Familie und will genau
prüfen, ob sie ein Daueraufenthaltsrecht bekommen kann oder nicht.
Allerdings räumt
Grit Puchan der Familie wenig Chancen ein, für immer in Deutschland
bleiben zu können: "Der Ausschuss hat noch nie von einer freiwilligen
Ausreise abgesehen." Man wolle nun, so Puchan, zu einer einvernehmlichen
Lösung kommen - sprich, die Familie dazu bewegen, Deutschland freiwillig
zu verlassen. Eine Frist jedoch werde ihr, zunächst wenigstens,
nicht gesetzt. Damit ist der Bescheid, der Samstag, 25. Januar, als
Ausreise-Termin festlegt, hinfällig. Während der Wintermonate,
versprach Puchan "passiert nichts".
Nicht untergetaucht
Dass die Familie
nach Serbien abgeschoben werden sollte und nicht in den Kosovo, woher
die Eltern Isem und Dzevahire Avdijaj stammen, begründete Puchan
damit, dass die Familie vier Jahre lang in Serbien gelebt habe und von
dort nach Deutschland eingereist sei. "Sie hatten dort für
lange Zeit ihren Lebensmittelpunkt." In den Kosovo können
die Avdijajs, die der dort diskriminierten Bevölkerungsgruppe der
Ashkali angehören, wegen eines Stillhalteabkommens der Innenministerkonferenz
nicht abgeschoben werden. Allerdings, so Puchan: "Auch für
Minderheiten kann es kein dauerhaftes Aufenthaltsrecht geben."
Ashkali werden
im Kosovo laut eines Berichts der Heidelberger Roma-Kosovo-Hilfe mit
den Roma gleichgesetzt und massiv unterdrückt. Sich selber sehen
die Ashkali als eigenständige Bevölkerungsgruppe, die ursprünglich
aus Ägypten kam, lange aber schon im Kosovo sesshaft ist. Die Muttersprache
der Ashkali ist Albanisch, und die Kinder besuchen traditionell albanische
Schulen.
Am Montag brodelte
in Gomaringen zunächst die Gerüchteküche, weil die Kinder
Elvira, Edvin und Elvir nicht in der Schule erschienen waren. Die Familie
sei untergetaucht, hieß es. Deswegen hatte sich auch Bürgermeister
Manfred Schmiderer eingeschaltet. "Das wäre das Dümmste,
was sie machen könnten", fand er. Schließlich würden
sie dann per Haftbefehl gesucht werden. Doch dann rief Elvira in der
Schule an und meldete sich krank. Die Familie war übers Wochenende
zu Besuch bei Bekannten, wo Isem und Elvira Avdijaj krank wurden, weshalb
die Familie nicht zurück nach Gomaringen fahren konnte.
"Elvira
ist auch psychisch stark belastet", erzählt ihre Klassenlehrerin
Waltraud Klett, die mit ihr telefoniert hatte. Immerhin habe das Mädchen,
weil sie besser Deutsch spreche als ihre Eltern, alle Gespräche
geführt. Dazu sei die Angst gekommen, die Polizei könne sie
und ihre Familie nachts einfach abholen.
Gnade vor Gesetz
Aber nicht nur Elvira ist
belastet, auch ihre Mitschüler beschäftigen sich seit Tagen
mit dem Fall. Sie haben, wie ihre Eltern und Lehrer, Briefe verfasst
und Unterschriften gesammelt. Gestern war nicht nur das Fernsehen in
der Schule, um einen Film über die geplante Abschiebung der Avdijajs
zu drehen, sondern die Schüler haben auch ein Transparent an die
Schule gehängt, auf dem "Gnade vor Gesetz" gefordert
wird und Briefe an Abgeordnete und Minister geschrieben. "Wir sind
alle ganz fertig, unsere Lehrerin weiß nicht mehr, was sie machen
soll, und wir wissen auch nicht mehr weiter", heißt es da.
Und: "Bitte helfen Sie, dass sie hier bleibt! Uns würde es
dann allen besser gehen und wir könnten uns auch wieder auf den
Unterricht konzentrieren." Der war in den vergangenen Tagen nicht
mit Lehrplan-Stoff gefüllt, sondern mit Themen wie Menschenrechte,
Unesco oder Abschiebepraxis.
Die SPD-Landtagsabgeordnete
Rita Haller-Haid, die sich noch gestern Vormittag an den Petitionsausschuss
gewandt und dort den Fall geschildert hat, zeigte sich erleichtert,
dass der Druck auf die Familie nun zunächst ein Ende hat. Die Chancen,
dass der Familie ein dauerhaftes Bleiberecht zugesprochen wird, schätzt
sie "fifty-fifty" ein. Der Petitionsausschuss müsse berücksichtigen,
dass die Familie von Serbien in den Kosovo abgeschoben werden könne,
sagte sie. Vor allem für die Kinder wäre eine Ausreise nach
Serbien oder in den Kosovo eine besondere Härte. Sie suche- nun
das Gespräch mit CDU-Abgeordneten, und sie habe auch schon Sozialminister
Friedhelm Repnik gebeten, Einfluss auf den Ausschuss zu nehmen. "Ich
habe schon Hoffnungen, dass der Ausschuss für die Familie entscheidet",
sagte sie. Allerdings handle es sich im Moment lediglich um einen Aufschub.
Bleiberecht nicht dauerhaft
Im Regierungspräsidium
scheint man sich dagegen sicher zu sein, dass die Familie kein dauerhaftes
Bleiberecht bekommen wird. "Wir versuchen, mit Avdijajs Gespräche
zu führen", sagt Grit Puchan. Immerhin gebe es auch eine,
wenn auch geringe, finanzielle Unterstützung, wenn die Familie
freiwillig die Bundesrepublik verlasse. Und sie könne sich ja nun
auch auf ein Leben in Belgrad vorbereiten. "Vielleicht finden sie
dort ja auch einen guten Neuanfang."
Gestern Abend trafen sich
Freunde und Unterstützer der Familie im Gomaringer Sportheim, um
über das Geschehene und die aktuelle Lage zu informieren. Ein Bericht
über diese Veranstaltung folgt.
Weitere
Texte zur Kusterdinger und Gomaringer Weihnachtsabschiebung im Schwäbischen
Tagblatt vom 22. Januar 2003
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