Schwäbisches
Tagblatt vom 24. Januar 2003:
Neun Fenster
und eine Tür
Welle der Solidarität
aus Kusterdingen für abgeschobene Familie Jashari
KUSTERDINGEN / PRISTINA
(ele). Die Reutlinger Kinder-Fachärztin Rosika Jonda-Starrach belegt
in einem Schreiben an den baden-württembergischen Innenminister
Thomas Schäuble, dass die Kinder der Familie Jashari durch die
Abschiebung kurz vor Weihnachten schwer traumatisiert wurden. Die fünfjährige
Besarta sitze nur zu Hause, ihr gehe es sehr schlecht, teilte Fikrije
Jashari dem TAGBLATT mit. Die achtjährige Bahrie geht seit einer
Woche wieder zur Schule.
In einer Nacht- und Nebel-Aktion
war die fünfköpfige Familie am 17. Dezember von der Polizei
abgeholt und in den Kosovo abgeschoben worden. Nur das Nötigste
konnten die Jasharis mitnehmen, ihr Hausrat blieb zurück. Die Abschiebung
der im Ort integrierten Familie - Vater Naim arbeitete in einer Firma
für Lackiergeräte, Mutter Fikrije. half im "Höfle"-Bauerncafé
aus - rief in Kusterdingen große Empörung hervor. In Dutzenden
von Leserbriefen äußerten Nachbarn, Freunde, Schulkameraden
und Kollegen, aber auch Unbeteiligte Unverständnis, Trauer, Wut
und Scham wegen der herzlosen Art, in der die Behörden gegen die
Familie mit einem drei Monate alten Baby vorgegangen waren.
In einer spontanen Welle
der Solidarität bildete sich ein Unterstützer/innen-Kreis,
der Geld und Unterschriften für die Rückkehr sammelte, Pakete
packte und die Familie mit den Nötigsten versorgte. Am Dienstag
gingen beispielsweise neun Fenster und eine nagelneue Haustür auf
die Reise nach Pristina, die der Kusterdinger Thomas Ellinger von einem
Betzinger Fensterbau-Betrieb und einem Wankheimer Privatmann bekommen
hat. Der Ein-Zimmer-Rohbau, in dem die Jasharis zur Zeit hausen, hat
nämlich weder Fenster noch Türen und lässt sich auch
nicht beheizen. Die Jashari-Kinder waren infolge dessen über Weihnachten
/ Neujahr alle schwer erkältet. Die drei Monate alte Flora litt
zudem wegen der Nahrungs-Umstellung unter schwerer Diarrhoe.
"Wir haben weder Wasser
noch Bad", sagte Fikrije Jashari, die wir am Mittwoch telefonisch
erreichten. Der Brech-Durchfall der Kleinsten habe sich etwas gebessert.
Sie selbst leide noch unter einer Ohren-Entzündung und bekomme
keinerlei medizinische Hilfe. An Arbeit zur Sicherung ihrer Existenz
sei nicht zu denken, "hier sind 80 Prozent arbeitslos". Danken
wolle sie der Kusterdinger Bevölkerung, die sie mit Lebensmitteln
und warmer Kleidung unterstütze: "Gott schütze alle."
Der Tübinger Rechtsanwalt
Holger Rothbauer hat mittlerweile eine Bittschrift an den Petitionsausschuss
des Landtages formuliert. Beim Sigmaringer Verwaltungsgericht hat Rothbauer
zudem Klage erhoben. Begründung: Die Abschiebung sei nicht rechtmäßig,
weil das Regierungspräsidium (RP) nicht alle Umstände ausreichend
geprüft und sich nicht an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
gehalten habe. "Das ist - verzeihen Sie den Vergleich - wie wenn
Sie ein falsch geparktes Auto in die Steinlach werfen." Das RP
hätte dafür Sorge tragen müssen, so Rothbauer, dass die
Jasharis durch die Abschiebung keine Traumatisierungen oder Gesundheitsschäden
erleiden.
Nach Auskunft von Pressesprecherin
Grit Puchan hat sich das RP im Fall Jashari absolut korrekt verhalten.
Der Familie sei eine Unterkunft in einem UNMIK-Lager angeboten worden,
in dem ihre medizinische Versorgung nach Auskunft der Uno-Behörde
sicher gestellt gewesen wäre. Doch die Jasharis hätten es
vorgezogen, zu ihren Verwandten nach Pristina zu ziehen. Einer Wieder-Einreise
räumt die RP-Sprecherin wenig Chancen ein.
Weitere
Texte zur Kusterdinger und Gomaringer Weihnachtsabschiebung im Schwäbischen
Tagblatt vom 25. Januar 2003
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